Sonntag, 24. November 2019

Klöster und Branding

Eigentlich war ich auch früher schon beeindruckt, wieviele Produkte es doch gibt, die man mit einem bekannten Klosternamen als "Klosterprodukt" kaufen kann oder solche, die zumindest als Produkt nach Klosterrezept vertrieben werden oder aber noch solche, die zwar weder ein echtes Klosterprodukt sind noch einem klösterlichen Rezept oder Produktionsverfahren folgen, jedoch dennoch mit einem Klostermarketing auftreten, weil der Ort, an dem die Firma produziert, einst ein Kloster oder Klosterort war. Und es werden stetig mehr. Lässt sich das in Zahlen ausdrücken? So klar, wie man meinen möchte, ist der Begriff "Klosterprodukt" ja keineswegs. Von daher lohnte es sich, einmal etwas Ordnung in diese Vielfalt zu bringen.

Was fasziniert daran, mit dem Begriff 'Kloster' und diverser weiterer Begriffe aus diesem Wortfeld ein Produkt zu bewerben? Ist es vielleicht so eine Art Bio - Effekt, der diese Produkte mit einer idealisierten klösterlichen Lebensweise in Verbindung bringt, in der sich vollkommene Sorgfalt und höchste Reinheit mit einer gedanklich egozentrischen Szenerie paaren, in der der Verbraucher einem monastischen Erzeuger ein Leben wie im Paradies, d.h. in einer idyllischen Klosterkulisse in der Stille der Natur und in permanentem inneren Frieden unterstellt? In irgendeiner Form muss da soetwas wie Nostalgie mitspielen. Aber auch die satirische Ebene kommt werbend zur Geltung, wenn es darum geht, als Unternehmen mit diesem Begriff ein Geschäft zu machen. Es gibt also echte und unechte Klosterprodukte, solche, die für die 'Frommen' als Zielgruppe beworben werden und solche, die eher die Distanzierten und Spötter aufs Korn nehmen. Und dann gibt es eben tatsächlich noch die originalen, von monastischer Hand gefertigten und vertriebenen, Klosterprodukte.

Das große Paradox an diesem Markt: Das Interesse am Klosterleben ist mehr als gering. Immer weniger Menschen interessieren sich für einen solchen Lebensweg. Die Zahl derer, die als Ordensleute noch Anteil an solcher Produktion haben, schwindet, und die verbleibenden Mitglieder in den Gemeinschaften müssen zunehmend mehr Arbeitslast übernehmen. Ein riesiger Markt scheint einer aussterbenden Welt den Hof zu machen. Ja - die Attraktivität von Klosterprodukten liegt durchaus im Trend. Die Nachfrage erscheint eher steigend. Und sie wandelt sich auch. Hierauf könnte man einmal ein analytisches wissenschaftliches Auge werfen. Mir ist solche Forschung in größerem Stil nicht bekannt.

Klosterprodukte, Klostermärkte früher und heute, der Weg in die Ladenketten, die Vermarktungsstrategien, die Veränderung von Produkten und Produktionswegen und die Abkopplung der Kloster-Produkte vom Kloster durch Verkauf der Marke oder durch Untergang des Klosters, die Rolle von Transportwegen und - mitteln, auch die Entfremdung der Produkte vom eigentlichen Zweck, dass nämlich der Erlös dem Unterhalt eines Klosters dient - all das wäre ein Blickwinkel über den man noch so manches erforschen könnte, gerade angesichts der großen Veränderungen, die vor allem im 19. und 20. Jahrhundert den Klöstern Anpassungen abverlangten. Und sicher gibt es noch viele weitere Aspekte.

Samstag, 24. August 2019

Diskrete Indiskretion

Klöster sind Orte des Schweigens. Wenigstens sollten sie das sein. Wer in einer Haltung des Betens schweigt, der hört und sieht und erkennt Dinge anders. Aber Klöster sind auch Schulen zur Übung in solcher Disziplin. Manch ein 'Schüler' braucht lebenslänglich, um sowas zu lernen.

Schweigen hat auch mit Diskretion zu tun. Wenn man sehr eng und dauerhaft miteinnander zusammenlebt, erfährt man mit der Zeit auch so einiges über die anderen und umgekehrt. Das lässt sich gar nicht vermeiden. Anderes erfährt man wiederum nie, weil Begegnungen und damit verbundene Erfahrungen zumeist kontextbezogen sind. Das fällt zumeist auch nicht auf oder erst, wenn sich durch äußere Veränderungen andere Situationen ergeben oder anlässlich eines Nachrufes. Dabei geht die "Wissenspyramide" von oben nach unten. Von Neueintretenden will man natürlich alles wissen. Die älteren wissen ohnehin voneinander, nach unten hin wird es dann immer weniger. Sind Klöster aber deshalb schon Orte der Diskretion?

Eines scheint - je nach Kloster - nicht in den Bereich des Schweigens zu gehören: Der Umgang mit den Krankheiten von Mitschwestern. Als Gemeinschaft möchte man natürlich wissen, wie es dem anderen geht. Ob dabei der vordringlichste Grund aber das Gebet für die Kranken ist, das man ja auch ohne dieses Wissen zum Himmel schicken kann, wage ich zu bezweifeln. Vor allem war es verschiedentlich offenbar durchaus Praxis, wie ich gerade in alten Briefen aus den 1990er Jahren eines süddeutschen Klosters las, solche Informationen sogar in Freundesbriefe zu drucken und sie auch mündlich weiterzugeben. - Dankeschön! - Dazu fallen mir dann auch gleich so tolle Fürbitten ein, die ich früher öfter hörte, wie: "Herr, hilf den Kranken, ihr Leiden als Dein Kreuz anzunehmen!"  Ja, es dürfte wirklich ein Kreuz sein, wenn man krank darniederliegt und andere nichts Besseres zu tun haben, als die eigene Befindlichkeit in jedem Detail nach außen zu tragen. In meinen Augen liest sich sowas abscheulich. Und es ist erst dreißig Jahre her! Ob die Betreffenden sich dessen bewusst waren, dass es auch ihnen so hätte ergehen können oder vielleicht auch schon so ergangen ist? Ob das alle so getan haben?

Wenn jemand sein Leiden tapfer erträgt, nennt man das in Klostersprache 'erbaulich'. Darüber hat man Hagiographien geschrieben. Und in dieser Form war solches Beobachten jahrhundertelang legitimiert. Möglicherweise erhält das Miteinander im Krankendienst in einer beiderseitigen durchbeteten Atmosphäre der einander wertschätzenden Begegnung ab und zu tatsächlich dieses Charisma, also ein Etwas, das sich kommunizierend zwischen zwei Personen abspielt, die sich trotz unterschiedlicher Rollen (Helfender und Hilfsbedürftiger) achten. Aber die modernere Form davon (also die von vor dreißig Jahren) hat eher etwas von kalter voyeuristischer Deskription. Man kann alles als Ritus pflegen und fortführen, jahrhundertelang. Aber wenn der Geist aus einem Ritus verschwunden ist, dann wird er zur leeren Hülle.

Freitag, 16. August 2019

Klöster und der lange Weg von einer Theorie zur Praxis

Das Jahr 1993 ist ja schon eine ganze Weile her. Damals war ich Studentin, sang in einer Choralschola und nahm gerade mit anderen Teilnehmerinnen und Teilnehmern an einem Choralkurs in einem süddeutschen Benediktinerkloster teil. Es war ein Zusammentreffen der Scholamitglieder und Kantoren vieler Orte, an denen Gregorianik praktiziert wurde, also von Laien ebenso wie von Ordensleuten unterschiedlicher benediktinischer und zisterziensischer Frauen und Männerklöster.  Man lernte sich kennen, fragte viele Dinge, besuchte sich dann auch mal und tauschte sich in jedem Fall über viele interessante Themen rund um das Klosterleben aus und hatte dort natürlich auch die sonst seltenere Möglichkeit des Vergleichs von Vertretern von Ordensgemeinschaften untereinander. Es war schön, informativ, und von dort brachten wir auch jedesmal - der Kurs ging über drei Jahre - interessante Impulse für unsere Choralarbeit mit. Die Verbindungen hielten über Jahre, man sah sich, lernte neue Leute im Umkreis der Klöster kennen und immer auch neue Ideen. 

Eine dieser Ideen, die an der Schnittstelle von christlichem Studentenleben (KSG und ESG) in Kontakt mit Klöstern gegen Ende meines Studiums (1998) diskutiert wurde, war das Thema "Freiwilliges spirituelles Jahr". Denn es gab damals schon einige StudentInnen vor allem aus den Freikirchen, die ein "Jahr für Gott", entstanden in den 50er Jahren, abgeleistet hatten. In jener Zeit kam auch das "Freiwillige ökologische Jahr" auf. Katholischerseits gab es damals schon "Kloster auf Zeit", nach meiner Erinnerung waren das als begleitete Wochen meist ein bis zwei Wochen. Wenn man schonmal öfter da war, gingen auch etwas längere Zeiträume. Alles andere war individuelles Geschehen. Das hatte den Effekt, dass es heute viele Menschen gibt, die im Kontakt zu den Klöstern das monastische Stundengebet pflegen und führte zu einer Belebung des Oblateninstituts um die Klöster herum. Ab und zu gab und gibt es dann auch echte Eintritte aus solch einem Kreis. Die meisten aber blieben und bleiben in ihrem angestammten Berufsleben. - Nun gibt es seit 2016 in Österreich und ab diesem Jahr auch in Deutschland das "Freiwillige Ordensjahr".

Mir imponiert inzwischen ein anderer Gedanke sehr, der mehr unverbindliche Gestaltungsmöglichkeiten lässt und neben Einblicken auch Wissen vermittelt - die Schule der Gertrud von Hakeborn neu aufzubauen. Es ist nämlich nicht damit getan, hinter die Kulissen zu schauen, man bedarf auch einer Anleitung, "was da auf der spirituellen Innenseite als Motivation abgeht".  So etwa stelle ich mir das vor: Nicht im Konvent der Professschwestern, sondern separat davon, aber mit einer zwingenden Konnexstelle zum Klosterkonvent, sei es durch gemeinsame Horen, eine angeleitete Arbeit oder richtigen Unterricht mit viel Fragemöglichkeit, eine Schule, die nicht das vermittelt, was man in der Schule lernt, sondern die das monastische Leben in vielerlei Hinsicht als praktische Lernmöglichkeit abbildet, das bietet, was eigentlich seit jeher internes monastisches Ausbildungsprogramm wäre (z.B. Ablauf des Stundengebets, RB, Choralunterricht, Liturgie, Texte monastischer Autoren, Ordensgeschichte, Ordensheilige) gepaart mit dem labora-Teil und der Teilnahme an den Gebetszeiten.

Zu uns kommen einige Schulklassen, die Klosterleben kennenlernen wollen, weil das Mittelalter als Unterrichtsthema in der siebten Klasse auf dem Lehrplan steht. Was anlassbezogen läuft, könnte man durchaus auch für einen größeren Interessentenkreis und dauerhaft anbieten kann, wo man beispielsweise einmal in einer größeren Gruppe begleitet eine Mahlzeit mit Tischlesung im Schweigen erproben kann. Was Schüler mit Begeisterung machen, könnten auch Erwachsene interessant finden.
Vor nicht allzu langer Zeit habe ich beispielsweise - neben anderen - eine Gruppe begleitet, deren Themen 'Klosterküche', 'Mittelalterlicher Fundamentbau mit theologischem Bezug', 'Pilgernde Frauen im Mittelalter' waren. Bei einer anderen Gruppe ging es um die monastische Kleidung und deren Bedeutung, um die elementar notwendige Bildung für einen mittelalterlichen Chormönch, eine Chornonne, um Klosterkrimis und die dahinterstehenden Problematiken, um Urkunden, um Siegel, um Klosteranlagen und ihre biblische Sinngebung). Dabei war der Schwerpunkt das klösterliche Miteinander anhand der Thematik, sowohl in der Gruppenarbeit, als auch bei den Mahlzeiten. Eine solche Annäherung finde ich gut, weil hier eine adaptierte und vielseitige Annäherung erfolgt. Zudem fände ich es auch nicht schlecht, eine solche Schulform unter einem Langzeitforschungsaspekt zu etablieren mit universitärer Anbindung. Im Mittelalter hat man in Klöstern gelernt und damit auch die Klöster als Teil der Welt kennengelernt. Das hat beiden Seiten was gegeben. Und die Kinder solcher Klosterschüler sind wieder in diese Schulen gegangen, die betagte Generation zog sich am Lebensabend in die Klöster zurück. Ein solches Eingebundensein hätte in der Tat ein großes Potential auch der sozialen Wertevermittlung - damit ist ganz und gar nicht Mission gemeint, sondern wirklich eine Wertevermittlung. Die heute oft gestellte Frage lautet doch, was Klöster der Gesellschaft praktisch-konkret zu geben haben - z.B. sowas. Es könnte zum gegenseitigen Vorteil sein!




Donnerstag, 11. Juli 2019

Mechtild von Hakeborn's Liber specialis gratiae

Der Liber specialis gratiae steht bis auf den heutigen Tag im Schatten des Werkes Legatus divinae pietatis von Mechtilds Schülerin Gertrud von Helfta und wird doch immer wieder und trotz aller Unterschiede in der Popularität der beiden Werke fast überall mit diesem Werk verglichen.

Barbara Newman hat in ihrer Einleitung zur englischsprachigen Ausgabe des Liber specialis gratiae (MECHTHILD OF HACKEBORN AND THE NUNS OF HELFTA, The book of special grace, eingeleitet und übersetzt von Barbara NEWMAN, Paulist Press, New York – Mahwah, NJ, 2017) auf wesentliche Quellen verwiesen und damit auch noch einen ganz anderen Vergleichspunkt gesetzt. Sie sieht als vorbildgebendes Genre des ersten Buches den Liber visionum der Elisabeth von Schönau an. Als wesentliche Info für meine Betrachtung folgt daraus: Es gab initial eine Formvorlage.

Zudem hat die genannte Übersetzerin das Arrangement des Stoffes in zweierlei Hinsicht etwas verändert: Einmal hat sie alle Kapitel, die über die Genese des Buches und seine Entdeckung berichten, in einem Schlusskapitel - Kapitel acht - zusammengefasst, wobei sie auch deren ursprüngliche Platzierung im Werk angibt. Das ermöglicht einen guten Überblick. Zum anderen hat sie - wohl um die christozentrische Dimension zu betonen (? - vgl. das Vorwort von Richard Kieckhefer) - die an das erste Buch als Appendix angehängten 12 Marienkapitel schlichtweg fortgelassen.

Diese beiden Maßnahmen haben mich angeregt, die Konzeption und Genese des Buches, das über einen Zeitraum von einigen Jahren entstand und in jedem Teilbuch auf unterschiedliche Weise einen Aspekt des Lebens (und Sterbens - Buch sieben) der Mechtild von Hakeborn vermittelt, neu anzusehen.

(1) Grundlage der Gestaltung von Buch eins ist das Kirchenjahr, welches bekanntlich mit dem Advent beginnt, bei Mechtild aber mit einem Kapitel zur Annuntiatio (25.03.) dem der Advent dann ab Kapitel zwei folgt. Natürlich kann man einen Sinn für diesen Beginn finden, aber muss alles so perfekt sinngebend sein? Hier ist jedenfalls ein erster Stolperstein, der auf eine etwas spätere Redaktion der beiden Schreiberinnen inklusive der Protagonistin schließen lässt.

(2) Newmans Zusammenstellung in Kapitel acht zeigt deutlich, dass Kapitel über Sinn und Zweck des Gesamtwerkes am Ende des Buches zwei und fünf platziert sind. Da ja bekannt ist, dass das Buch allmählich entstand, könnte man daraus schließen, dass Buch zwei ein erster Schlusspunkt des Werkes sein sollte. Das bedeutet dann auch, dass es den Prolog in heutiger Form zu diesem Zeitpunkt noch nicht gegeben hat, so nicht geben konnte. Und hier genau erhebt sich die Frage, was genau Mechtild am Krankenbett eigentlich vorgelesen wurde. Allein vom Umfang her werden es wohl nicht die ersten fünf, sondern eher ein bis zwei Bücher gewesen sein, was die beiden ersten der vielen Abschlusskapitel in Buch zwei sinnvoll macht.

(3) Buch eins und zwei handeln von Mechtilds Visionen, sind jedoch ganz unterschiedlich ausgerichtet. Buch eins folgt dem Konzept der Vorlage (der Elisabeth von Schönau) und hat damit einen liturgischen Schwerpunkt, in Buch zwei ist mehr ausserliturgisches Geschehen verarbeitet. Damit kann man Buch zwei als eine ergänzende Erweiterung von Buch eins sehen, die möglicherweise einer frühen externen Leserschaft die Frage 'Wer ist sie, die das sagt?' besser beantwortet als es das erste Buch tat.

(4) Soweit gekommen, habe ich mich gefragt, was die angehängten Begebenheiten zu Marienfesten bedeuten könnten, zumal es ausgerechnet zwölf sind. Hat bei der Gestaltung von Buch eins und dessen nachträglicher Redaktion (vielleicht durch Mechtild selbst?) die Zahlensymbolik eine Rolle gespielt? Und wenn diese Vermutung kein Trugschluss ist, dann ist es wohl ein Fehler, diese Kapitel einfach zu streichen, denn dann hat man eigentlich etwas vom Konzept der Schreiberinnen und einen Einblick in die Genese des Werkes beseitigt.

Angenommen, das Buch eins begann anfangs tatsächlich mit dem Advent, dann hatte es ursprünglich 34 statt 35 Kapitel. Daraus lässt sich durchaus ein beabsichtigtes Konzept vermuten, das im Mittelalter üblich war, denn als Jesus am Kreuz starb, war er im 34. Lebensjahr. Mechtild muss Maria sehr verehrt haben. Das ergibt sich aus dem zwölfteiligen Annex. Maria - und dieses Wissen war im Mittelalter verbreitet - war nach ProtEvJak zwölf Jahre alt als der Engel Gabriel sie besuchte.  Ein Kapitel mit dieser Begebenheit ist den 34 anderen fortan vorangestellt. So wie diese Szene an Portalen und Chorschranken, also an architektonischen Zugangswegen ihren Platz hatte, so war ihr Platz in der biblischen Buchmalerei am Anfang der Evangelien. So wird man nicht falsch liegen, zu unterstellen, dass die Möglichkeit besteht, dass Kapitel eins gleichzeitig mit dem marianischen Annex hinzugefügt wurde, also ausserhalb des ursprünglich schlüssigen Konzeptes 'Liturgisches Jahr' als Ergänzung und Einleitung steht.

Schließlich noch eine theologisch symbolträchtige Rechenoperation:  34 + 12 = 46. Nach dem einleitenden Annuntiatio - Kapitel folgen in Summe mit dem Annex 46 Kapitel in Buch eins. Der biblische Verweis zu dieser Zahl steht im Johannesevangelium (Joh 2,20) und hat den Tempel im Blick. Diese Zahl hat mit dem Bild des Tempels aber auch eine der Tradition entnommene Deutung: Nach Athanasius (De incarnatione verbi) ist Maria Tempel des WORTES. Und so sie die Engelsbegegnung mit zwölf Jahren hatte, war sie 46 Jahre alt, als Jesus starb. In dieser Blickrichtung zeigt sich also eine theologische Begründung für die auf uns überkommende Gestaltung des Buches eins, die ganz offenbar auf Mechtilds Form der Marienverehrung zurückgeht.

(5) Mit fortschreitender Berühmtheit und Entwicklung ihrer Krankheit verändert sich auch die Thematik der folgenden Bücher. Band drei vermittelt ihre an andere vermittelte Glaubenslehre, ist aber auch eine Auseinandersetzung Mechtilds mit ihrem zunehmend kranken Körper und ein Versuch, Gott in ihrem Leid zu loben. In Band vier hat Mechtild ihre Rolle neu definiert und angenommen. Sie wird mehr und mehr zur Fürsprecherin. Erste Gebetserhörungen werden berichtet. In Band fünf kommt der Tod Mechtilds näher. In ihrem Beten geht es um die Auseinandersetzung mit dem eigenen Tod. Die Beziehung zu den bereits Gestorbenen wird intensiver und beherrscht das Thema. Zu dieser Zeit kam der Prolog hinzu. Band sechs - nachträglich ergänzt - handelt vom Tod der Äbtissin Gertrud, aber auch davon, wie Mechtild mit diesem Tod umging. Band sieben schildert den Tod der Mechtild inklusive einiger Begebenheiten im Kontext von Tod und Begräbnis. Diese beiden Bände setzen noch einmal einen Schlusspunkt, der das gesamte Werk zu einer Vita macht.


Montag, 3. Juni 2019

Zisterzienserforschung aus Frauenperspektive


Vielleicht ist der wesentlichste Beitrag den meine Ausführungen zum Guido-Fall geliefert haben, auf einer ganz anderen Ebene zu suchen, die ich hier nochmal ins Wort bringen möchte: Ich glaube, dass es noch so manche schlummernde Quelle im Kontext der Frauenklöster gibt, die man bisher deshalb nicht gefunden oder als nicht relevant beachtet oder anders gelesen hat, weil man deren den Orden betreffende Relevanz gedanklich ausklammerte oder schon vorab herabstufte. Diesen Schatz gilt es zu heben.

Deshalb möchte ich auch den Werdegang meiner Überlegungen hier liefern, die mich zu diesem Guido führten:

Am Anfang dieser Überlegungen standen - wie immer - Fragen, die mir die klassische Zisterzienserforschung nicht beantworten konnte, die auch noch nicht völlig beantwortet sind:
Wieso verschwinden die Frauenklöster in dem Moment aus der offiziellen Überlieferung, als im Reichsgebiet unter zumindest indirekter Beteiligung des Abtes Bernhard von Clairvaux gerade die zwei ersten OCist-Frauenklöster gegründet wurden, deren Seelsorge allerdings gleich von Anfang an, und so, als sei es schon immer so gewesen, in den Händen von Nichtzisterziensern lag (bei Wechterswinkel sehr wahrscheinlich initial ein Aschaffenburger Kanoniker, da es in deren Pfarrsprengel etabliert wurde, bei Königsbruck ein eremitisch lebender Benediktiner aus Seltz)? Warum engagieren sich für die Reformstatuten des der Abtei Molesme unterstehenden Priorates von Jully insgesamt 5 Äbte, darunter neben dem zuständigen Benediktinerabt noch vier (!) Zisterzienseräbte, jedoch ohne die hierarchisch wichtigsten Äbte von Cîteaux und La Ferté, dafür aber zusätzlich der Abt von Fontenay? Warum gerade diese vier Äbte? Fühlte man sich nach der Gründung von Tart in Cîteaux und La Ferté einfach nicht (mehr) zuständig? Oder musste man aus anderen Gründen Abstand halten? Oder: Engagierten sich für Jully nur die Äbte, von denen Angehörige in Jully waren? Und warum überhaupt Zisterzienseräbte? Musste man die Angelegenheit so hoch aufhängen? Hat es das irgendwann nochmal in der Geschichte gegeben? Dann entdeckte ich die Parallele zu den vier Primarabteien hinter Cîteaux, als ich die Bernhardbriefe zu Guido und Rainald las und die Erklärung darin fand. Das zu jener Zeit parallel gelesene Buch über die Literaturgeschichte des neuen Testaments ließ mich die Quadriga-Auslegung des Ezechiel bei Irenäus von Lyon finden. Ich fragte mich zudem, ob es reiner Zufall war, dass der Guido-Nachfolger Rainald von Bar zugleich der Sohn des Gründers von Jully war oder als Signal gedacht.

Dann fand ich den Namen Guido als Abt von Trois-Fontaines in einer Urkunde für Jully, ausgestellt in Chartres am 01.Mai 1133 (M. Jobin, Histoire du Prieuré de Jully-les-Nonnains avec pièces justificatives, Paris, 1881, 212), und wunderte mich noch mehr, wieso dieser Abt sich dort engagierte, sich aber als Vertreter des Abtes von Cîteaux, als es um neue Statuten ging, so gar nicht blicken ließ. Auch der Ausstellungsort der Urkunde ließ gedankliche Verbindungen zu, die mir bisher nicht in den Sinn gekommen waren. Denn der Bischof von Chartres war eigentlich nicht der zuständige Diözesan für Jully. Das musste ja alles nichts bedeuten, war aber dennoch in meinen Augen zumindest seltsam. Ich dachte nach über das Poem des Payen Bolotin, der ja Chorherr von Chartres war. Gab es da einen Zusammenhang zwischen diesem Zisterzienser und Payen Bolotins Text, der ja doch recht vielseitig Verwerfliches skizziert? Ich las in der Vita des Petrus von Jully, die allegorisch verschlüsselt aussagt, dass es vor der Ankunft des neuen Priors Petrus, der explizit vom Konvent erbeten wurde, dort kein vorbildliches monastisches Leben gab. Dann suchte ich alle Stellen, die über diesen Guido berichteten und war entäuscht über deren Dürftigkeit...
Hatte man es in dieser Sache dort nochmal geschafft, den Ball flach zu halten und bewusst geschwiegen? Die Anspielungen der Petrusvita lassen nur erkennen, dass... nicht aber wer er oder sie waren. Vielleicht wäre die Rolle von La Ferté in jener Zeit auch in den Beziehungen zu Jully noch zu bedenken. Denn diese Abtei wäre vom Alter her ja die Vertreterin von Cîteaux in Leitungsangelegenheiten gewesen, bevor man das Konzept der Primarabteien einführte. Ein paar Namen und Bezüge finden sich in der Petrusvita... Auch sie ist eine noch weitgehend unerschlossene Quelle unter dem Aspekt der Ordensgeschichte. Es gäbe also noch viel zu tun...


Samstag, 1. Juni 2019

Engelhard von Langheim: Ordinis defensio

Bei der Beschäftigung mit der Mirakelsammlung für die Nonnen von Wechterswinkel des Engelhard von Langheim, fiel mir eine Geschichte mit folgender Überschrift auf:
 
Ordinis defensio et fratris mali exitus.1

Vor allem ist es die Einleitung zu diesem Mirakel, welche mit den Eckdaten der eigentlichen Geschichte doch die Frage aufwirft, ob es sich hier nicht um den Nachklang des Guido - Falles des Jahres 1134 handeln könnte.2 Möglicherweise aufgrund der behandelten Thematik, hat die geschilderte Motivation, die den Autor veranlasste, diese selbst erlebte Geschichte aufzuschreiben, bisher kein wissenschaftliches Interesse gefunden. Und er beabsichtigte auch klar, den Ort des Geschehens zu verschweigen.
Allerdings, wenn ein einfacher Mönch oder ein ehemaliger Oberer in irgendeinem Kloster einen Fehltritt begeht, ist doch wohl fraglich, ob man dann damals gleich den ganzen Orden verteidigen musste. Oder waren es inzwischen tatsächlich 'zahlreiche'3 Ordensmitglieder, die mit einem Leben als Trittbrettfahrer und Heuchler eine gute Sache unterwandert hatten? Immerhin benutzte Ordericus Vitalis im 8. Buch seiner auf 1136 datierten Kirchengeschichte bei der Charakterisierung derer, die im weißen Habit gingen, auch schon das im folgenden Text verwendete Gleichnis vom Unkraut unter dem Weizen (Mt 13), sogar mit dem gleichen Wort lolium für Unkraut, während in der Vulgata zizania zu lesen ist. Engelhard schildert in Stakkato–Form eine ganze Reihe von disziplinierenden Maßnahmen. Das spricht für ein stattgehabtes großes allgemeines Engagement zur Besserung der Ordensdisziplin, die wohl Reaktion auf eine gewaltige öffentliche Empörungswelle sein mag. Exkommunikation, Verbannung und externe Bestattung sind doch drastische Mittel einer Disziplinierung und Abschreckung. Die Apologie des hl. Bernhard hatte in den 1120er Jahren einen Finger in die Wunde monastischen Fehlverhaltens gelegt, war es da nicht naheliegend, mit der weniger glänzenden Realität auf sarkastische Weise zu antworten, wie es beispielsweise ein Payen Bolotin4 tat? 
  
Ein paar Überlegungen zum Text:
(1) Da wäre das Bestrafungs- und Verbannungsjahr für einen ehemaligen Oberen mit Exkommunikation.5 Der Bruder im vorliegenden Text war zum Zeitpunkt der Tat weder exkommuniziert, noch kann man den Eindruck gewinnen, er wäre nicht in seinem Kloster, noch scheint er irgendeiner Strafe unterlegen zu haben. Demnach müsste wenigstens ein Jahr seit der Absetzung vergangen sein. Wäre es jener Guido, so könnte man annehmen, dass er - aus Cîteaux vertrieben - wieder in seinem Heimatkloster Trois-Fontaines aufgenommen worden war, wo man ihn als Mitbruder wieder in die Gemeinschaft eingliederte, ohne ihn anzuklagen, ja, indem man sein Treiben offenbar noch geleugnet hatte, sodass er frei und unbehelligt seiner 'Wege' gehen konnte. Und natürlich hatte man seinerzeit, nach dem Weggang des Guido nach Cîteaux, einen neuen Abt gewählt.
(2) Der Fall ereignete sich, dem Text zufolge, auch nicht im dormitorium, sondern in einem cubiculum. Hatte ein Krankenpfleger eine separate Schlafkammer in der Nähe des Krankendormitoriums? Oder hatte jener als ehemaliger Oberer trotz Nachfolger noch das Privileg einer Einzelzelle?
(3) Die Rolle eines Krankenpflegers für jenen Guido, an den ich bei dieser Geschichte denke, passte auch deshalb ganz gut ins Bild, weil er in dieser Rolle in Cîteaux vor seiner Abtswahl äusserst dichten Kontakt zu dem alten, blinden und kranken Abt Stephan Harding gehabt hätte. Die entsprechenden Angaben seines (= Guidos) Endes ähneln ein bisschen den Aussagen des Robert von Torigny, der ebenfalls berichtet, jener habe den Verstand verloren bzw. ein gottloses Ende gehabt.6 Auch das 'Ausreißen der Bastardpflanze aus dem Paradies' entsprechend dem Exordium Magnum7 fände hier in der Art der Bestattung eine nähere Erläuterung. Das Spottlied des Payen Bolotin wäre eine gute Illustration für einen habgierigen und ausschweifenden Menschen, wie diese Geschichte ihn zeichnet.8
(4) Nach den späteren Beschlüssen des Generalkapitels - hier GK 27 [66] - waren von diesem Gremium schwer Bestrafte besonders Diebe, Verschwörer und auch Brandstifter.9 Zwar bestätigt die Ausnahme die Regel, doch ist es durchaus möglich, dass primär der für einen Mönch abstoßende luxuriöse Lebenswandel der Stein des Anstoßes war, während über andere Vorfälle, wie die Geschichte ja auch erzählt, bei der Absetzung noch der Mantel des Schweigens gehüllt werden konnte, eben weil ihn niemand dessen anklagte.
(5) Und noch etwas gibt zu denken: der Plural, den ein Angehöriger des eigenen Ordens bei der allgemeinen Aufzählung derer, die ihr monastisches Leben als Fassade vor sich hertrugen, benutzte. Das wirft tatsächlich die Frage auf, ob es eine Häufung solcher Fälle in jenen Jahren gegeben hat, Mönche aus der zweiten Generation, die schon etwas genießen konnten von jener Achtung und Wertschätzung, die die Gründergeneration mühsam erworben hatte. Doch wen anders als Äbte konnte man mit 'berühmt im Land' meinen? So gibt die Geschichte nochmal einen anderen Blick auf den Kontext der Herausbildung der Strukturen, die uns heute so bekannt sind, ja welche die Besonderheit dieses Ordens in jenem Jahrhundert werden sollten: Generalkapitel und Visitation.
(6) Schließlich noch eine Anmerkung zur Vita des Autors. Über weite Strecken ist seine Vita doch recht unbekannt, sodass sich in dieser Geschichte mit dieser Angabe ein neues Detail findet. Denn sollte es sich tatsächlich um das Ende jenes Guido handeln, so war der Autor zu einem bedeutend früheren Zeitpunkt schon Zisterzienser, als bisher angenommen.
 
Nun aber der Text, den ich nach der kritischen Edition von Hans Detlef Oppel übersetzt habe.
 
Unseres Ordens Verteidigung und der Tod des sündigen Bruders.
Ähnlich diesem10, möchte ich (etwas) hinzufügen, was die Unzucht bekämpfen möge, denn sie selbst ist der Grund für das Geschehene und für das Gerede. Ich bin ein Zeuge dieser Begebenheit, auch wenn mir wie einem weniger geeigneten Zeugen Vertrauen zu schenken ist. Mit vielen könnte ich (es) beweisen, aber in der Sprache unbeholfen, will ich den Inhalt besprechen, nicht die Person, die Tat vortragen, den Ort verschweigen, damit der Verteidigende ein Schutzmittel bereite, der Worte Zurückhaltende Schaden meide.
Jenes ins Meer ausgeworfene Netz des Evangeliums (Mt. 13,47) versammelt Fische aller Art zum Glauben, und in ihm führt auch jeder Orden seine Gefangenen (vgl. Ps 68,19; evtl. Eph 4,7) und zieht (sie) zur Bekehrung. Unter diesen ist unser Orden beim Fang nicht der Kleinste, viele reißt er an sich (vgl. Mt. 11,12). Wie Lea im Vergleich zu Rachel ist er (= der Orden) fruchtbar in der Geburt geworden (vgl. Gen 28ff), vielfältig im Tun und erweist sich als überaus zahlreich (vgl. Gen 15,5). Er ist hoch aufstrebend im Vorhaben (vgl. Mt 7,14), groß an Verdienst (Ps 19,12; Mt 25, 21; Mk 10,30; Lk 19, 17), gewalttätig im Hinblick auf das Reich Gottes (vgl. Mt 11,12) und treu im Blick auf den Lohn (vgl. Mt 25,21), aber doch ist er wegen der Aufnahme der Vielen nicht bis zur Hefe ausgeleert (Ps 75,8), wieviel er auch durch die Sache im Eifer gebeugt (ex hoc in hoc vgl. Ps 75,8) und wegen der Besorgnis der Oberen geschwächt wurde. Deshalb jenes jährlich wiederkehrende und allgemeine Kapitel und nach der Ernte der Früchte die Ernte der Vergehen (vgl. Mt. 13,30), deshalb jene scharfe Sichel (vgl. Mk 4, 29) der Exkommunikation, die die Schuld abschneidet (vgl. Joh 15,6) oder sogar gleichzeitig die Verbrecher tötet (vgl. Offb 14,19), deshalb die Visitationen der Äbte, die, was auch immer an Schlechtem verborgen sei, ans Licht bringen (vgl. 1 Kor 4,5), deshalb jene schnelle Korrektur ohne Ansehen der Personen. Wie bei allen, so verbirgt sich auch bei uns diese Schlange im Gras, der die Söhne Evas dennoch das Haupt zertreten (vgl. Gen 3,15), wo immer sie jenes zum Schaden herausstreckt. Und, ich gebe zu, selten geschieht es, dass sich unter uns Verbrechen verstecken, sie erfahren ein schnelles Ende, widrigenfalls zugleich mit dem Tod, und solch ein Tod, dass er allen bekannt gemacht und zum Zittern sei, oder aber durch Korrektur oder auch durch dauerhafte Verbannung. Ich habe Brüder gesehen, prahlerisch im Charakter, an Gaben wohlhabend, im Gebrauch der Klugheit glänzend, berühmt im Land, bei Kleinen und Großen willkommen, die, solange bis ein Gerücht ihnen Unehre machte, die Ordensdisziplin nicht einhielten und die von ihren Gemeinschaften, in denen sie Wohnrecht hatten, lange verstoßen wurden. So ist es, dass man den, der mit den Lebenden nicht auf das Leben hinarbeitete, in seiner Sünde nicht in der Nähe der übrigen Sterbenden lässt; weil man nicht abhelfen kann, kommt bei den Lebenden Schrecken auf, so dass sie sich davor hüten, indem sie jener Verdammten und Unwürdigen im Gebet gedenken. 
Ich möchte von einem so Sterbenden berichten, was ich gesehen habe:
Der Bruder war Krankenpfleger sowie auch früher bestellter Oberer über alles, in allem verschaffte er sich, eins nach dem anderen, was er begehrte, und, wie es am Ende klar wurde, (war er) einer von diesen, deren Knochen Gott zerstreut (vgl. Ps 141,7), weil sie den Menschen gefallen. Sie duldeten schweigend jenes (Bruders) unreine Taten, es war niemand da, der ihn anklagte, jedoch auch, indem sie bestritten leichtgläubig gewesen zu sein, zögerten und leugneten sie mit ihm, der sich ihres Gehorsams bedient hatte. Der treue Zeuge im Himmel (vgl. Offb. 1,5) wachte darüber, er sah es, und es missfiel ihm, und er selbst schickte sich an, zu bestrafen.
Es war Weihnachten, und jener Bruder hatte zum dritten Male am heiligen Tag nach der Nacht kommuniziert; er wiederholte noch einmal seine Wege, von denen er nicht (mehr) zurückkehren sollte. Als es Morgen geworden war (und) jener nicht erschien, wurde gesucht, wo er sei, und siehe, man fand ihn nackt, nicht bei Verstand und sterbend im Keller. Damals war ich an jenem Ort. Ich laufe mit den Laufenden, man kam zum Keller, und jene Nacktheit verhieß nichts Gutes im Bewusstsein der Einzelnen. Sie fanden auch Überreste von irgendwelchem Fleisch, freilich Speisen, die dort niemand vorgesetzt hätte, es sei denn, nachdem unheilvolle Krankheitssymptome sichtbar geworden wären. Er wurde auf den Armen der Brüder herausgetragen, sie leiden und bemitleiden sich alle seinetwegen, sie geben ihm, was einem Kranken unter den Brüdern zu erstatten ist: die heilige Salbung, die Litanei und das Psalmengebet. Er starb, wurde begraben, wie man es ihm schuldete, sie lösten ihn ganz aus, und siehe da, es gab seinetwegen viel Geschwätz. Der Abt wollte es verbergen, doch schrie die Ungeheuerlichkeit, dass jener Bruder so übel verstorben war, dass er in jener Nacht mit einer Frau geschlafen hatte, dass er in Gestalt einer Frau jenen Dämon geduldet hatte und er von dem schrecklichen Liebhaber getötet wurde. Schließlich wurde die Frau gefunden, die sich dort im Schlafraum versteckt hatte. Gefragt, wie sie gekommen sei, antwortete sie, sie sei von jenem Bruder hineingeführt worden; indem man sie ersuchte, ja anflehte, dies nicht bekannt zu machen, ließ man sie aber in Frieden gehen. Zwei Tage lang war sie dort gewesen, hatte in den Nächten mit dem Bruder geschlafen, dann, zu jenem Zeitpunkt, war sie wegen eines natürlichen Bedürfnisses fortgegangen, sie war sofort zurückgekehrt, hatte ihn ohne Verstand und Stimme aufgefunden, nichts anderes sei zu glauben, als dass ein Dämon ihn in ihrer Gestalt umgebracht hat, der sich, so sagte sie, meiner bedient hat, um zu sündigen. Es wurde befohlen, es zu verheimlichen, doch man konnte es nicht, der Vorfall wurde den Richtern angezeigt, und sie ordneten zum Schrecken der Lebenden an, seinen Körper vom Friedhof zu verbannen, damit sie sich fürchten mögen zu sündigen, wenn man sich des Körpers eines Toten nicht erbarmt.
In einem Haus unseres Ordens ist dies vorgefallen. Es mag sich wundern oder verleumdet sehen, wer will, doch möge man sich antworten, dass unter den Söhnen Gottes auch der Satan war, dass das Paradies nicht von der Schlange verschont blieb, dass auch Judas ein Mitapostel des Petrus war, dass der Hausvater mit dem Weizen das Unkraut bis zur Ernte wollte wachsen lassen (vgl. Mt. 13,30), dass das Netz des Evangeliums seine Fische am Ende nicht im Meer, sondern am Ufer gesichtet und die Guten von den Bösen in Gegenwart der Engel getrennt hat (vgl.Mt.13,48.49).
                                                                                    

1 Hans Detlef Oppel, Die exemplarischen Mirakel des Engelhart von Langheim. Untersuchungen und kommentierte Textausgabe, Dissertation, Würzburg, 1976, 177-180.
2 Siehe mein Blogbeitrag vom 07.September 2018: Wurden die Frauenklöster für die Schuld eines korrupten Abtes bestraft? URI: https://anguluscustodis.blogspot.com/2018/09/wurden-die-frauenkloster-fur-die-schuld_7.html.
3 Ordericus Vitalis, Historia Aecclesiastica, Liber VIII, 26,7, in Hildegard Brem – Alberich M. Altermatt (Hgg.) Neuerung und Erneuerung. Wichtige Quellentexte aus der Geschichte des Zisterzienserordens vom 12. bis 17. Jahrhundert, (Quellen und Studien zur Zisterzienserliteratur Bd. 6) Langwaden 2003, 154.
4 Jean Leclercq, Le poème de Payen Bolotin contre les faux ermites., in „Revue bénédictine“ 68 (1958) 52-86.
5 Vgl. SCC5, 3-6, in Hildegard Brem – Alberich M. Altermatt (Hgg.), Einmütig in der Liebe. Die frühesten Quellentexte von Cîteaux. Antiquissimi Textus Cistercienses lateinisch – deutsch, (Quellen und Studien zur Zisterzienserliteratur Bd. 1) Langwaden, ²1998, 41; außerdem die GK – Beschlüsse, hier GK 27 [66], ebd. 163f.
6 Robertus de Torinneio (1149-1186) Tractatus de immutatione ordinis monachorum, Cap. I, 2, (J. P. Migne (Hg.), Patrologia Latina 202, Sp. 1311, Paris, 1855).
7 Kassian Lauterer – Fritz Wagner – Frank Erich Zehles (Hgg.), Exordium Magnum Cisterciense oder Bericht vom Anfang des Zisterzienserordens von Conradus, Mönch in Clairvaux, später in Eberbach und Abt daselbst, (Quellen und Studien zur Zisterzienserliteratur Bd. 3) Langwaden, 2000, 119, I, 31.
8 Payen Bolotin, ebd. wie Anm. 4
9 Vgl. Einmütig in der Liebe, (wie Anm. 5), 163f.
10 Der Autor bezieht sich auf die vorangehende Mirakelgeschichte.

Freitag, 17. Mai 2019

Manchmal bügelt die Geschichte die Falten aus dem Gewand

Momentan habe ich leider nicht soviel Zeit, Dinge so klar auszuarbeiten, wie sich das gehörte. Doch besteht meinerseits Grund zu der Annahme, dass der deutsche Thronstreit zur Zeit des Papstschismas zwischen Anaklet und Innozenz II. und der erfolgreiche Einsatz des Zisterzienserabtes Bernhard von Clairvaux in den Angelegenheiten von Papst- und Kaisertum äußerst günstig lagen, den Skandal um den Nachfolger Stephan Hardings und das schadenfrohe Gespött der anderen recht bald vergessen zu machen. Ich habe ja schon ein paar Blogbeiträge dazu geschrieben. Eine Kombination von ergriffenen Maßnahmen, wie die Einführung des 'Quadriga-Konzeptes' der Leitungsebene, fußend auf einer Auslegung des Irenäus von Lyon zur Vision des Propheten Ezechiel, angedeutet in Bernhards Briefen an Abt Rainald (nicht der von Foigny, sondern es muss der von Bar sein), die Verschärfung des Visitationsrechts (disziplinarische Maßnahmen bis hin zum Ordensverweis) und dessen Ausdehnung auf das Mutterkloster, zudem noch eine klare Begrenzung und Einschränkung der Frauenseelsorge (Mag dies vielleicht der Startpunkt der Regularkanoniker im Propstamt dieser Klöster gewesen sein?) - all das hat hinter den Kulissen einer Öffentlichkeit, die sich mit höheren Interessen plagte, eine Reform der noch so jungen Reform ermöglicht, die ohne diese so hochrangigen historischen Ereignisse keinen Deckmantel bekommen hätte. Dass da irgendwie etwas war, lässt auch das Zweite Laterankonzil erahnen. Eigentlich: Nochmal Schwein gehabt!!! Ich bin mittlerweile überzeugt davon, dass - ebenso wie ja auch bei den Prämonstratensern - in jenem Jahrzehnt die Weichen für die so andere Entwicklung der Frauenklöster gestellt wurden, obwohl diese weiter zum Orden gehörten. In den Ereignissen der dreißiger Jahre jenes Jahrhunderts liegt der Schlüssel für die Trennung der Wege und die spätere gezielte Inkorporation. Und in der Rolle, die Bernhard von Clairvaux in dieser Zeit für den Orden einnahm, um das arg schlingernde Schiff wieder auf Kurs zu bekommen, liegt die interne Wertschätzung die dieser Kirchenvater erhielt, die ihm zur Erhebung seiner Gebeine zur Ehre der Altäre verhalf.

Dienstag, 1. Januar 2019

Carta Caritatis statt Inkorporationsbeschluss für Zisterzienserinnen im 12. Jahrhundert

In diesem Jahr 2019 feiert der Zisterzienserorden 900 Jahre Carta Caritatis. Es wird Tagungen, Treffen und auch Informationsveranstaltungen geben, die dieses Ereignis zu würdigen suchen. 
Auch wir werden mitfeiern.

Wenn ich so darüber nachdenke, was das bedeutet, dann kommen mir auch ungewöhnliche Gedanken: Welche Bedeutung hat die CC für die Frauenklöster gehabt? Ja - welchen Stellenwert hatte die Befolgung von Elementen der CC in der zeitgenössischen Beurteilung für die Beantwortung der Frage, ob ein Frauenkloster 'OCist' war oder nicht? Woran machte man denn die 'Ordensmitgliedschaft' fest, die in so mancher Urkunde aktenkundig wurde, wenn nicht an den 'Consuetudines', anhand derer ein Auftreten und Praktizieren zum sichtbaren Ausdruck von Zugehörigkeit wurde?

Wir feiern nicht 900 Jahre Generalkapitel, wobei es sicher auch schwierig wäre, festzulegen, wann eine erste solche Veranstaltung stattgefunden hätte, die größer war als ein gemeinsames Konventkapitel von mehr als zwei oder drei Häusern und folglich diesen Namen verdiente. Dabei wird es sicher nicht bloß um die Schwierigkeit einer exakten Terminbestimmung gehen. Wenn auch die Bedeutung der Generalkapitel in ihrer legislativen Kraft und in ihrer Flexibilität bezüglich einer zeitnahen Antwort auf aktuelle Gegebenheiten unbestritten ist, so setzt die Funktion dieses Gremiums doch eine gemeinsame Richtschnur voraus, eben jene Carta Caritatis. Was also ist wichtiger - die Satzung oder deren Aktualisierung?

Der Streit ist alt. Spätestens seit der Veröffentlichung der Generalkapitelsstatuten durch Canivez, ist es gängige Praxis, die Zugehörigkeit von Frauenklöstern zum Zisterzienserorden an irgendeinem GK - Beschluss oder zumindest an einer erwähnenden Behandlung dort festzumachen. Das mag im 13. Jahrhundert durchaus plausibel sein. Für das 12. Jahrhundert leuchtet mir das jedoch nicht ein. Problematisch erscheint mir dabei, dass aus der Nichterwähnung auf Nichtzugehörigkeit geschlossen wird, obwohl man manchmal sogar zisterziensische Betreuung nachweisen kann und der Begriff 'Zisterzienserorden' in den Urkunden fällt: so bei Ichtershausen und Wechterswinkel beispielsweise. Ist der Inkorporationsbegriff wirklich und immer noch der 'Stein der Weisen'? Ist die Befolgung einer Observanz, die man ja durchaus als 'imitatio' bezeichnen kann, nämlich als Nachahmung einer gegebenen Ordnung, etwas Unrichtiges? Wer hätte denn schon jedes kleinste Detail im Mutterkloster wirklich exakt an einem neuen Standort identisch nachahmen können? Könnte man nicht auch bei gegebener Observanz und dem Nichtvorhandensein einer Ablehnung durch den Orden auf Zugehörigkeit schließen? Ich meine soetwas wie Sensitivität und Spezifität. Eine gewisse Fehlerrate wird es immer geben. Die Genauigkeit aber liegt auch in der Fragestellung und in den für eine solche Fragestellung erarbeiteten Kriterien.

Ich finde, es wäre doch ein guter Beitrag, auf dieser Basis nach Indizien für eine Zisterzienserobservanz gemäß der CC in den Archivalien umstrittener OCist - Frauenklöster zu suchen, beispielsweise anhand der Liturgie, der Feste, der von benediktinischem Liedgut abweichenden Notationen, der so anderen Hymnen etc. und diese Hinweise dann auch ernst zu nehmen.