Mittwoch, 28. November 2018

Zu den Auswirkungen des Alterns in der Geschichte von Klöstern

Kürzlich habe ich in einer Klostergeschichte gelesen. Dort war von einer Äbtissin des 15. Jahrhunderts die Rede, die mit 80 Jahren scheinbar noch recht tatkräftig war, deren Abbatiat von da an aber noch 12 Jahre dauerte. Ohne einen direkten Vorwurf, wurde dort in den Quellen dann vom Verfall der Klosterdisziplin in dieser Zeit gesprochen. 

Sicher kann man einen Verfall klösterlicher Sitten - was immer man darunter im ausgehenden 15. Jahrhundert je nach Position und Kontext verstehen mochte - nicht an einer einzigen Person festmachen. Andererseits aber forderte die Ausübung oder Nichtausübung eines Leitungsamtes durch eine Vorsteherin im Kloster natürlich die nachgeordneten Instanzen in mehrfacher Hinsicht recht schnell heraus. Das Vorgehen im Todesfall und bei der Nachfolgeregelung ist in vielen mittelalterlichen Urkunden thematisiert. Wie aber ging man damit um, wenn neben des Körpers Gebrechlichkeit der Geist eine kompetente Entscheidungsfähigkeit zunehmend vermissen ließ oder - zumindest passager - infrage stellte? Schon einige Male bin ich einer solchen Fragestellung begegnet  und kann mich doch nicht erinnern, darüber schon viel Lesbares gefunden zu haben. Wie war das so mit den mittelalterlichen Ghostwritern und 'Ghostactors', wenn es um das Geschick einer klösterlichen Gemeinschaft unter einem sehr alten oder kranken Oberhaupt ging? Konnte da nicht auch ein verstecktes Positionieren für die Nachfolge hinderlich sein? Oder - wie behindernd konnte sich der Kontrollzwang einer so wie oben noch amtierenden sehr betagten Amtsinhaberin Bahn brechen? Gibt es - nach Ausschluss anderer Ursachen - einen nachvollziehbaren Zusammenhang zwischen Alter im Leitungsamt und wirtschaftlichem oder disziplinarischem Niedergang einer Klostergemeinschaft? Welche systemimmanenten Faktoren kommen hinzu?  Gibt es Gegenbeispiele und wenn ja - was war bei diesen anders? 


Samstag, 24. November 2018

Eine Siegelumschrift rückwärts




Helftas altes Konventssiegel - hier eine moderne Rekonstruktion - ist umschrieben mit:

S. Sce. Marie Virginis in Helpede.

Das ist nichts wirklich Ungewöhnliches. Schließlich haben sich viele zisterziensische Frauenklöster des Mittelalters unter das Patronat Mariens gestellt. Doch hat es den Anschein, als ob dieser Text nicht die ganze Botschaft ist, denn er gibt auch rückwärts gelesen Sinn:

Ede ple h nisi nigri ve iram e c s s.

Aede ple(bi) h(ac) nisi nigri vae iram e(t) C(hristus) s(alus) s(it).

Ob das nun Zufall ist, eine Eindeutung oder tatsächliche Intention, kann hier sicher nicht abschließend geklärt werden, zumal mir nicht einmal bekannt ist, wo, d.h. an welcher Urkunde und in welchem Archiv sich dieses überlieferte Siegel befindet, das so oft ohne jegliche Quellenangaben abgebildet ist - die obige Version davon ist also keine Kopie, sondern eine rekonstruierende Zeichnung von mir nach einer solchen Abbildung im Marienlexikon unter dem Stichwort Mechthild von Hackeborn (EOS - Verlag St. Ottilien 1992, Bd. 4, S. 376). Der Text der Vorlage ist jedoch gut zu lesen. 

Die Ergänzungen der rückwärts gelesenen Schrift von beispielsweise ple mit bi oder von h mit ac sind sicher nicht eindeutig, aber in dieser Weise möglich.

Das Kloster Helfta, dessen Kirchweihe ungewöhnlicherweise an einem Montag (03.06.1258) stattfand und dessen Gründungsgrund eine vitale Bedrohung, nämlich der Wassermangel am alten Standort war, hätte Grund gehabt, eine solche, der Apokalypse entnommene, Intention ins Siegel einzuarbeiten:

Durch dieses Heiligtum sei Christus seinem Volk das Heil, dass nicht das Wehe der Finsternis den Zorn (hervorbringe).

Stellt man sich die Entstehungszeit des Klosters in Helfta vor Augen, so kann man durchaus auf apokalyptische Gedanken kommen. So berichtet Cyriakus Spanngenberg in seiner Chronik über das Geschlecht der Querfurter Grafen S. 290, dass es im Sommer 1257 acht Tage lang durchgehend gehagelt habe. Dürre, Unwetterkatastrophen, Seuchen, Massensterben und Kriege trugen ein Übriges dazu bei, in jener Zeit zu diesem Eindruck zu gelangen. Die klimatischen Folgen eines äquatorialen Vulkanausbruches, von dem in Europa damals ja niemand wissen konnte, hatten durchaus eine gewisse Parallele zu den Schilderungen der Apokalypse. Und vielleicht war die im Vergleich zu vorangegangenen Jahren nun deutlich wahrnehmbare relative Finsternis, die Sonne und Mond betraf (vgl. Mk 13,24; vgl. Offb 16, 10) tatsächlich ein beängstigendes Merkmal jener Zeit. So gesehen, gäbe es einen wirklichen Grund, den Text - rückwärts gelesen - als nicht zufällig anzusehen.