Donnerstag, 26. April 2018

Der Text, aus dem das 'Salve sancta parens' stammt - Sedulius mal auf deutsch

Sedulius, Carmen Paschale, Liber II, 1-69 in deutscher Übersetzung

Der schrecklichste Drache hatte den erstgeborenen Mann
von der Blumen tragenden Stätte gestürzt und durch verlockenden Duftes
Verführung der armen Seele den bitteren Tod gebracht.

Den verdienten Zorn, ihn durch Vergänglichkeit dem Gesetz unterwerfend,
hatte der Waghals nicht allein gespürt, sondern durch ihn auch
das ganze Menschengeschlecht - weh' Dir - schuldige Gattin!
Bist du, Frau, schuldiger als jener listige Drache?
Listig war jener Drache, doch bist, Frau, auch du schuldig.
Leider! Unsterblich waren die zwei. Nachdem zu gedeihen begann
der Anfang, ging er verloren, und nahm aus dem Samen das Unheil.

Wozu die zahlreichen Tage, was hat jenem genützt seine Zeit,
über neunhundert glückliche Jahre zu sehen,
zu schauen die zehnte Generation von Kindern und Greisen
und schon bald seine Abstammung nicht mehr zu wissen, da doch im Nu das
unumkehrbare Los der letzten Stunde letztlich besiegt sein würde,
sei es auch spät, und da doch das kurze Leben durch die lange Lebenszeit
hindurch Schmerz darüber empfindet, dass nichts von Dauer ist.

Die Hoffnung gab keine Aussicht auf Rückkehr und das Grab
des ersten Erdbewohners hätte mit blindem Schlund die Nachkommen verschlungen,
wäre nicht jener gütige Vater gewesen, schnell bereit die Schuld zu verzeihen,
zurückhaltend, sie zu vergelten, damit er sein Geschöpf nicht verlöre
und (damit) dessen Abbild dazu diente, Gott ähnlich lebend,
dem Tode unähnlich zu sein. Gnädig erbarmt,
hat er das Werk erneuert und verhindert, dass die bitteren Früchte,
die die Väter aßen, den Kindern die Zähne stumpf werden ließen.
Und er gewährte, ihnen immer versöhnt zu sein, damit
von dort, wo die Schuld den Tod gegeben hat, die Güte das Heil gebe.

Und wie aus spitzem Dornstrauch die weiche Rose heranwächst,
ohne Verletzendes zu haben, hat sich die Zierde vor der Mutter verborgen:
So ging, aus dem heiligen Ursprung der Eva, Maria hervor,
dass die neue Jungfrau sühnte der alten Jungfrau Untat,
damit, da die lasterhafte erste Natur
der Macht des Todes unterworfen war, durch Christi Geburt der Mensch neu geboren würde
und den Schandfleck des alten Menschen ablegen könnte.

Nachdem (es) die alten Propheten vorausgesagt hatten,
verkündete der Engel eilends der jungfräulichen Maria:
Und das Gesagte wurde Gewissheit und der Schoß des Mädchens
bald mit der glänzenden Last gefüllt, und der Schöpfer aller Dinge
war unter dem Gesetz des Geborenwerdens. Es staunte das jungfräuliche Mädchen
über den gespannten Leib und freute sich, dass sie ihren Schöpfer gebären wird.

Und als nun seit dem Anfang neun Monate zum zehnten geglitten,
erstrahlte der heilige Tag, an dem er mit der schwangeren Jungfrau
das verheißene Werk erfüllte: 'Das Wort ist Fleisch geworden.',
weil es in uns wohnen wollte. Das größte Kind hat damals
das Innere seines Tempels rein bewahrend,
den Weg freigemacht, ohne ihn zu verletzen: Er ist für die Jungfrau als Zeuge
der Geburt anwesend, indem er, was er geschlossen betreten hat, auch geschlossen verlässt.

Welch' neues Licht in der Welt, welch' himmelweite Gnade!
Was war das für ein Glanz, der durch Christus vom Mutterschoß Mariens
in neuer Schönheit ausging, wie selbst der Bräutigam
im prächtigen Gemach frohlockte, der liebliche 'Schönste
unter den Menschen', durch dessen strahlende Gestalt
die Anmut der Gnade bezaubernd von den Lippen verbreitet wird.

O, bereitwillige Liebe!, die uns nicht sklavisch
an das von der Sünde beherrschte Joch fesselt,
zu der Sklaven äußerstem Glied machte sich der Herr und Erste seit Ursprung der Welt.

Der alles bei der Geburt mit eigenen Gaben bekleidete,
hat sich mit einer Windel aus spärlichen Tüchern bedeckt;
Den nicht die hohe Welle einer stürmischen See,
nicht aller Länder Grund bewegt und die große Weite
des Himmelsgewölbes nicht fasst, der wohnte ganz in kindlichem Leib,
und eingeengt schwieg Gott in der Krippe.

Sei gegrüßt, heilige Mutter, die als Gebärende den König zur Welt gebracht hat,
der den Himmel und die Erde durch die Zeiten steuert,
dessen Name und Herrschaft im ewigen Kreislauf
alle Dinge umfasst und ohne Ende bleibt,
die in ihrem seligen Leib die Freude einer Mutter mit der Zierde der Jungfrau vereint,
nie zuvor warst du gesehen, noch folgte dir eine:
Als einzige Frau ohne Vorbild, hast du Christus gefallen.

Eigene Übersetzung für CFM 2017/2018 nach folgender Quelle:
SEDULIUS , Opera omnia, herausgegeben von Johannes HUEMER , ergänzt von Victoria PANAGL , Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum, Band 10, Wien, Österreichische Akademie der Wissenschaften, ²2007.

Cur fugit ille nitor? - Quis fuit ille nitor?

Bis vor kurzem habe ich Sedulius, einen Autor aus dem 5. Jahrhundert, nicht gekannt. Doch mittlerweile schätze ich ihn ob seiner Originalität. Leider muss man sich bis heute doch die Arbeit machen, ihn zu übersetzen, wenn man ihn kennenlernen möchte. Aber immerhin besteht, wenn man es an den Publikationen der letzen Jahre misst, doch ein wissenschaftliches Interesse an ihm.

Wenn man die oben genannten beiden Fragesätze ansieht, kann man eine Ähnlichkeit wohl kaum bestreiten. Der Zusammenhang dazu ist beeindruckend originell. Vielleicht würde eine allzu fromme Seele heutiger Tage bei dem Vergleich distanzierend die Augenbrauen hochziehen. Andererseits hat solcherart zielgerichtet getroffene Wortwahl, entlehnt und mit Bedacht umgeformt, das Carmen Paschale des Sedulius durch die Jahrhunderte so attraktiv gemacht, denn eine kontrastierende Zitierweise aufgrund ähnlicher Sinnzusammenhänge ist kein Einzelfall im Werk. (1)

Der erste der beiden Fragesätze entstammt der Fabel Nr. 53 des Äsopius Latinus (2), der zweite ist die entsprechende Umformung bei Sedulius (3). In der Fabel geht es um ein arrogantes Pferd, das als glanzvoll-prächtige Erscheinung einen beladenen Esel fast überrennt und auch noch demütigt. Beide begegnen sich wieder, als das Pferd nur noch den Status eines Ackergauls fristet, und der Esel stellt jene Frage nach dem warum? Treffender kann man einen sozialen Abstieg wohl kaum in einer Frage beschreiben.

Bei Sedulius geht es gewissermaßen auch um einen 'sozialen' Abstieg, um ein Verarmen. Doch diesmal geschieht - theologisch gesprochen - genau das Gegenteil. In Liber II, 49 besingt Sedulius den Glanz des neugeborenen Christus mit einer Klimax (lux-nitor-splendor) und zitiert dann noch Psalm 19, den Sonnenglanz. Und er führt im Nachgang die Armut des Gottessohnes, den Philipperbrief zitierend, aus. Hier stehen Armut und Glanz glorifizierend nebeneinander. Man kann den 'geklauten' Vergleich des Sedulius skurril oder mutig finden. Für seine Aussageabsicht, die Selbsterniedrigung Gottes zur Erlösung des Menschen, ist er nur logisch, zumal ihn damals jeder verstand.

Dies könnte bloß Literatur des 5. Jahrhunderts sein und damit nichts mit dem Thema dieses Blogs zu tun haben. Fehlanzeige! Eben dieser Sedulius war im 12. Jahrhundert hochgeschätzt. Man sollte schon davon ausgehen, dass dieser spätantike Dichter für die Liturgie des Hochmittelalters - und hier gerade auch in den Frauenklöstern (z.B. die Reminiszenzen im Speculum Virginum) - eine ernstzunehmende Größe war. Warum nicht mal lesen, was unsere Vorfahren so lasen?

1   Vgl. Carl P. E. SPRINGER (Übersetzer und Kommentator), Sedulius, The Paschal Song and Hymns, Society of Biblical Literature, Writings from the Greco-Roman World, Bd. 35, Atlanta 2013, Introduction S. XXX.

2    Georg THIELE , Der lateinische Äsop des Romulus und die Prosa-Fassungen des Phädrus. Kritischer Text mit Kommentar und einleitenden Untersuchungen, Hildesheim, Zürich, New York, Olms-Verlag, 1985, Nachdruck der Ausgabe Heidelberg 1910, 166 - 172, Nr. 53 ( Buch III, Fabel III).

3   SEDULIUS , Opera omnia, herausgegeben von Johannes H UEMER , ergänzt von Victoria PANAGL, Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum, Band 10, Wien, Österreichische Akademie der Wissenschaften, ²2007, Liber II, 49.