Dienstag, 28. Januar 2020

Gertrud und Gertrud - wer ist wer in Helfta?

Die heilige Gertrud von Helfta, die einzige Frau, der man im 17. Jahrhundert den Titel 'die Große' beigefügt hat, wird oft mit Äbtissinnenstab und Kreuz dargestellt. Diese Insignien trug sie zu Lebzeiten aber gar nicht. Vieles, was an Helftaer Überlieferung da war, wurde von da an mit ihrem Namen verbunden. Und manches wurde ihr dabei auch in die Schuhe geschoben, wie beispielsweise Gebete ihrer Mitschwester Mechtild von Hakeborn. - Aber - unbesehen der Tatsache, dass ihr Hauptwerk sicher spirituelle Tiefe hat - warum geht jemand erst mehr als 150 Jahre nach seinem Tod als Stern am Heiligenhimmel auf? Haben ihre Zeitgenossen ihre Heiligkeit gar nicht bemerkt? Und warum hat man von da an die Überlieferung von Helfta unter ihrem Namen subsummiert? Weil derartiges Schriftgut in jener Zeit vielleicht auch soetwas wie eine 'Marke' für eine religiöse Haltung war? Vielleicht weil das Geschriebene teilweise für einen Frömmigkeitsstil stand, den es zu ihren Lebzeiten so noch nicht gab, der sich also von dem ihrer Mitschwestern etwas absetzte und ab dem 16. Jahrhundert forciert entwickelte? Mechtild von Hakeborn kennt in ihrem überlieferten Werk eine solche Individualfrömmigkeit nicht. Im Gegensatz zu Mechtild, bei der der Himmel fast immer bevölkert ist, wenn auch persönliche Begegnungen stattfinden, liegt der Schwerpunkt von Gertruds Schaffen auf dem Ich.  War da nicht auch ein bisschen der zeitgebundene Bedarf einer religiösen Erneuerung des 16. Jahrhunderts, war also ein frommer Wunsch der Vater dessen, was nun wurde, so kurz nach der Reformation? 

Für die Exercitia spiritualia beispielsweise, deren einzige Textquelle der Druck eines Kartäusermönches von 1536 ist, und der eben der Meinung war, dass die Exercitia von Gertrud mitverfasst sind, frage ich mich - entgegen der vorherrschenden Meinung - aufgrund der so völlig anderen Konzeption des Werkes sehr deutlich, ob Gertrud wirklich die Autorin dieses Werkes ist. Ist man nicht auch heute sehr schnell dabei, den Begriff Helftaer Mystik für alles zu nehmen, was aus Helfta kommt, ohne eine Differenzierung im Detail? Wie eingehend ist denn geprüft worden, dass es nicht aus der Feder einer Hakebornerin stammt? Könnte Gertrud nicht auch Gertrud von Hakeborn, eben jene berühmte Äbtissin gewesen sein? Wenn man heimlich ein Buch mit den Gedanken von Mechtild aufschreiben kann, warum dann nicht auch ein Buch mit dem Gedankengut einer hochverehrten Äbtissin?

Die großen Postulate stellt man zumeist nicht in Frage, sondern versucht alles so zu interpretieren, dass es in das vorgegebene Schema passt. Weil mir dies am Herzen liegt, weil ich in meiner Lektüre dieser Frauen zu dem Schluss gekommen bin, dass Konzeption und Stil anders sind als das, was Gertrud von Helfta im Legatus von sich gibt, mag die 'entsetzliche' Frage, möglicherweise auch die entsetzlich dumme Frage, erlaubt sein, ob die Exercitia spiritualia nicht das geistige Eigentum einer anderen Gertrud seien und wir es hier, ebenso wie beim Liber specialis gratiae damit zu tun haben, dass eine begabte Schreiberin mit Sinn für die Größe dessen, was sie da notiert, im Auftrag ihrer Äbtissin, nämlich der Nachfolgerin jener Gertrud, das geistige Erbe der beiden großen Hakebornerinnen zu Papier gebracht hat.

Es war sicher nicht Gertrud selbst, die sich da eventuell mit fremden Federn geschmückt hat. Das haben Menschen lange nach ihrem Tod aus ihrer zeitgebundenen Motivation heraus getan. Vielleicht hat auch die Überlieferung einen solchen Irrtum besorgt, denn eine Sache von einer Gertrud unter dem Namen einer anderen Gertrud einzusortieren, ist nicht wirklich schwer. Ich möchte diese Fragestellung hier aufwerfen und eine Lanze brechen für eine Frau, die in der Tat Äbtissin war, ihr Kloster in schwieriger Zeit von ihrem 19. Lebensjahr an über 40 Jahre geleitet hat und in dieser Zeit zu einer Blüte führte, wie sie Helfta danach nie wieder erlebt hat. Schließlich war es Gertrud die Große selbst, die die Lebensbeschreibung dieser Frau inklusive ihrer Bewunderung für sie im Liber specialis gratiae zu Papier gebracht hat.

Donnerstag, 9. Januar 2020

Konziliengeschichte im Hymnus

In den letzten Wochen habe ich mich intensiver mit dem Hymnus Conditor alme siderum befasst und war dabei ganz fasziniert von Inhalt und Form. Dabei stellte ich fest, dass dieses Werk, das ursprünglich wohl ein reiner Vierzeiler mit Bekenntnischarakter gewesen ist, also eher eine Akklamation als ein wirklicher Hymnus, im Laufe der Zeit, d.h. zwischen dem vierten und dem sechsten Jahrhundert, immer länger wurde, bis er im siebten Jahrhundert schließlich in der Form, die wir heute kennen, als Adventshymnus in Hymnarien erscheint (vgl. Gneuss).

Auffällig ist darin die wiedergespiegelte Konzilsgeschichte: Konstantinopel 381, Ephesus 431, Chalcedon 451. Schon allein der Text der ersten Strophe kann gegen einige Häresien bestehen. Und irgendwie paraphrasiert er ein bisschen den Christus-Hymnus im Kolosserbrief. Damit hat er auch einen anti-gnostischen Zug.

Mit dem erhabenen Schöpfer ist Christus in der kosmischen Dimension des Kolosserbriefes angesprochen. Sodann folgt mit der Bezeichnung ewiges Licht eine Absage an die Arianer, für die dieser Christus nicht ewig sein konnte und auch gegen die Manichäer, für die zwar Christus in einem Zusammenhang zum Licht stand, jedoch nicht als dessen Urheber. Schließlich scheint eventuell noch ein Hieb gegen die Donatisten ausgeteilt, wenn Christus als Erlöser von allem ja auch die in Verfolgungszeiten passager abgefallenen Getauften erlöst. Allein in dieser Strophe passt sich die Melodie dem Text an, während es in den nachfolgenden Strophen keine eindeutige Text-Melodie-Beziehung mehr gibt.

In Strophe zwei geht es um die Zwei-Naturen-Lehre. Und je nachdem, ob man am Ende der ersten Verszeile einen Ablativ (interitu) oder einen zum Reim besser passenden Akkusativ (interitum) gelten lassen möchte, wird man sich theologisch auf eine andere Seite schlagen. Die monophysitische Version hat sich über die Zeit offenbar verflüchtigt.

In der dritten Strophe geht es nun irgendwie von vorne los, denn nachdem Christus schon durch seinen Tod der Menschheit ein Heilmittel gegeben hat, kommt er nun erst zur Welt. Hier sind wir inhaltlich beim Konzil von Ephesus, das Maria als Gottesgebärerin benannte. Aber diese Aussage betont somit auch Christus als Gott, was für die Zusammengehörigkeit der Strophen 3 bis 5 von hoher Bedeutung ist. Denn in Strophe vier wird mit dem Text des Philipperbriefes Christus als der Starke benannt, der mit der Umschreibung als wiederkommender Richter in Strophe fünf zugleich auch der Unsterbliche ist. Schon der Zwettler Zisterzienserpater Alexander Lipp hatte in seinem Hymnenkommentar von 1890 diesen Anklang an das Trishagion des Karfreitags bemerkt, welches als Formel oder Gesang in Chalcedon zuerst erwähnt ist. In diesen Hymnus ist mit agie auch ein griechisches Wort hineingelangt. Die älteste Tradition des Singens des Trishagion im Abendland soll Benevent haben...

Nach meiner Ansicht gibt es unter der Voraussetzung einer strophenweisen Verlängerung über einen längeren Zeitabschnitt und angesichts der in der ersten Strophe vorhandenen Anklänge an Häresien des vierten Jahrhunderts dann doch wieder Gründe, dem Ambrosius von Mailand die erste Strophe nebst Melodie in die Schuhe zu schieben. Im Rahmen einer heftigen antiarianischen Auseinandersetzung mit dem Kaiserhaus um die Basilica Portiana 385/386 gäbe es - wohlgemerkt kurz nach dem ersten Konzil von Konstantinopel - durchaus einen Anlass, von dem Augustinus in seinen Bekenntnissen (Conf. 9,7,15) schreibt, dass diese Auseinandersetzung der Anlass gewesen sei, Gesänge nach dem Brauch der Ostkirche in die Liturgie einzuführen. Die erste Strophe ist als in sich geschlossene inständige Bitte im vierten Kirchenton verfasst. Vielleicht war es ja auch in einer vital bedrohlichen Situation einst eine so inständige Bitte...

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BERLINER REPERTORIUM, Conditor alme siderum: URI:
https://repertorium.sprachen.hu-berlin.de/repertorium/browse/hymn/7165?
skip=0&_bc=S1.7165, abgerufen am 29.12.2019

GNEUSS, Helmut, Zur Geschichte des Hymnars, in: Andreas HAUG – Christoph MÄRZ
– Lorenz WELKER (Hgg.) Der lateinische Hymnus im Mittelalter. Überlieferung –
Ästhetik – Ausstrahlung, (Bärenreiter-Verlag, Kassel / Basel [u.a.]), 2004, S. 63 – 86.

LIPP, Alexander, Die Hymnen des Cistercienser – Brevieres, Heinrich-Kirsch-Verlag,
Wien, 1890.

PLANK, Peter, Trishagion, LTHK 10, (Herder – Verlag, Freiburg -
Basel – Rom – Wien), 2001, Spp. 262-263.

WILLIAMS, Rowan D., Arius, Arianismus, LTHK 1, (Herder – Verlag, Freiburg -
Basel – Rom – Wien), 1993, Spp. 981-989.