Die meisten europäischen Klöster haben heute nur wenige Mönche
oder Nonnen, und meist sieht man sie durch die Gegend sprinten,
jedenfalls die, die man sieht. Das Thema Burnout ist durchaus eine
reale Gefahr für manche Vertreter dieser Spezies. Doch schon
Benedikt wusste, dass es auch die anderen gibt, wenn er sagte: Ist
aber einer so nachlässig und träge, dass er nicht willens oder
nicht fähig ist, etwas zu lernen oder zu lesen, trage man ihm eine
Tätigkeit auf, damit er nicht müßig ist. (RB48,23). Aber
daraus jetzt einfach gute und schlechte Mönche oder Nonnen zu
machen, ist gar zu sehr vereinfacht. Denn jeder ist zu gewissen
Zeiten und in gewissen Situationen gut oder schlecht. Es gibt keinen
Menschen, der immer und überall nur eifrig sein kann. Und - Eifer hin, Eifer her - es bleibt dabei doch noch zu fragen: Was ist das Motiv eines Engagements? Für wen oder was wird Energie geleistet? Geht es am Ende vielleicht nur darum, besser zu sein als andere? Nein - weder das eine noch das andere ist nur gut oder nur schlecht. Alle im Kloster sind
menschliche Wesen, die in Gesundheit und Krankheit wie auch im Laufe
des Prozesses des Alterns Phasen erleben, in denen nicht alles so
läuft, wie man es gerne laufen sähe, in denen auch einmal der Punkt erreicht
ist, an dem einfach keine Motivation oder Kraft da ist, das
Aufgetragene mit Elan zu tun. Und es gibt auch im Kloster durchkreuzte Pläne, gescheiterte Projekte, gleichgültig wie sie zustande kamen. Wenn darin viel Arbeit steckt und diese umsonst war, folgt erstmal tiefe Ernüchterung. Dann geht vorübergehend nichts mehr, und die Sinnfrage stellt sich. Diese Höhen und Tiefen verändern! Sie verändern aber auch ganz
natürlich die Dynamik im Alltagsgeschehen und deren Außenwirkung.
Doch die Power, die eine Gemeinschaft als Ganze hat, ist die Summe
ihrer Mitglieder. Wenn alle in den Seilen hängen, weil man zum
Beispiel nicht rechtzeitig auf entsprechende Belastungen reagiert hat
oder an jahrhundertealten
Traditionen festhält, weil es immer so war, dann ist das einer
Gemeinschaft ebenso anzumerken wie einer, in der alle vor Energie
gleich platzen würden. Die ausgleichende Funktion der Körperschaft
für das Wohlbefinden des Einzelnen ist nicht zu unterschätzen. Im Kloster steht man füreinander ein oder man geht gemeinsam unter!
Das Gehorsamsgelübde spielt außerdem eine
wesentliche, manchmal auch den jeweiligen Schwung beeinflussende
Rolle. Ein Mönch oder eine Nonne ist gehalten, jedwede Sache zu tun,
die ihm / ihr aufgetragen ist, unabhängig von eigenen Vorlieben und
Talenten. Die jeweils aufgetragenen Dinge haben aber mitunter nicht
nur den Aspekt der Erledigung einer Aufgabe, sondern auch
persönlichkeitsbildende Funktion. Was in Klöstern zählt, ist nicht
monastische Selbstverwirklichung an einem ausgesuchten Ort, sondern
die Bereitschaft, mit den eigenen Fähigkeiten der Gemeinschaft zu
dienen. Doch auch dies lässt noch viel persönlichen
Interpretationsspielraum, wo es sich besser dienen lässt. In vielen
Klöstern gibt es daher eine Art Rotationssystem. Denn es kann recht
schnell passieren, dass ein Einzelner seinen Verantwortungsbereich
bewusst oder unbewusst zum Machtbereich ausbaut. Ein monachus kann, auf Abwege gleitend, durchaus auch einmal zum dominus monopoli werden. Aber auch das Gegenteilige gibt es, dass eine insgesamt schwache Gemeinschaft ein vermeintlich starkes Mitglied aus reiner Angst um je eigene Chancen an den Rand drängt, diese Talente also nicht so nutzt, wie sie unter optimalen Bedingungen zum Nutzen der Gemeinschaft nutzbar wären. Hier kommt zudem das
Gelübde der Armut ins Spiel. Und nicht immer wird soetwas unter diesem Begriff subsummiert, da vieles ja auch unbewusst läuft: Die Bedeutung von Einfluss und
Beeinflussung über persönliche Kompetenzen und Möglichkeiten ist nicht zu
unterschätzen. Auch dies ist in sich weder gut noch schlecht. Denn
zum einen ist es notwendig, seine Fähigkeiten auch zu gebrauchen und
Verantwortung wahrzunehmen, und zum anderen kommt niemand als
perfektes Wesen auf die Welt. Hier hat die jeweilige Gemeinschaft
korrigierende Funktion, die aber selbst als Ganze ebenso auf dem Weg des Lernens ist.
Gerade einer unliebsamen Aufgabe entläuft man
auch im Kloster schneller, sie wird häufiger durch andere
Tätigkeiten und sich anbietende Gelegenheiten unterbrochen. Wenn man
dies mit weltlichen Arbeitsbedingungen vergleicht, wo es ebenso ist,
dürfte das wohl kaum überraschen, denn die primäre Prägung eines
Mönches oder einer Nonne kommt ja von draußen und ist je nach
Eintrittsalter unterschiedlich intensiv ausgefaltet. Die Vorstellung täuscht,
dass in einem Kloster alles perfekt laufen muss und alle wie Bienen
in der Hochsaison schaffen - dies entspricht selbst in der Natur nur als Momentaufnahme der
Schöpfung, denn auch Bienen haben einen
Rhythmus und Ruhephasen. Permanente Betriebsamkeit wäre unmenschlich, und solche Erwartung ist genauso ein von außen aufgestülpter Mythos wie permanente
'betende' Untätigkeit. Denn ein wesentliches Merkmal klösterlichen Seins ist
der Rhythmus, der beständige Wechsel von Arbeit und Betrachtung im Gebet. Diesen
Dienst übt die Gemeinschaft als Ganze aus. Es ist Sorge des Abtes /
der Äbtissin, dem Individuum innerhalb der Gemeinschaft im Rahmen
der gegebenen Möglichkeiten den Raum zu geben, der diesem Menschen
dient, seinen monastischen Weg zu gehen, in dem er seine kreativen
Fähigkeiten zum Wohl und Nutzen der Gemeinschaft einsetzen kann.
Auch hier hat schon Benedikt von den Starken und Schwachen
gesprochen. Und es ist sehr vielfältig, worin man stark und schwach
sein kann.
Auf dieser Ebene liegt auch der Begriff
Einsamkeit. Eine Gemeinschaft respektiert im optimalen Fall die
Bedürfnisse des Einzelnen und hilft ihm / ihr mit Toleranz und Geduld auf
den Weg. Doch nur jemand, der ganz bei sich sein kann und es dort
aushält, ist auch gemeinschaftsfähig. Vieles lässt sich
kompensieren über Arbeit und Kreativität, zum Teil über lange
Zeit. Eine wichtige Rolle spielt dabei der Einsatzort. In einem
Klosterladen oder im Gästebereich oder in der Sakristei wird man durch
mehr Infos unterhalten, mit mehr Sorgen oder auch Nöten konfrontiert, als wenn man
Gästezimmer oder Gänge zu putzen hat oder die Senioren seines Hauses
verpflegt. Erstgenannte Arbeitsplätze bieten durch ihre Abwechslung mehr Möglichkeiten, sich von sich selbst abzulenken und sich in den Augen anderer zu profilieren. Doch nicht immer im Leben wird es so sein, dass jemand mit
'seiner' Arbeit beschäftigt ist und reichlich Außenkontakte pflegen kann. Zudem gibt es niemanden, der
dauerhaft nur produktiv und von Nutzen ist. An diesem Punkt zeigt
sich dann auch die Herausforderung im Miteinander gemeinschaftlichen Lebens, dort wo Gesprächsgelegenheiten
gesucht werden, weil jemand im Laufe der Jahre eben doch nicht bei sich zu Hause angekommen ist, weil es
gerade keine interessanten Dinge gibt, weil gerade nichts passiert.
Ja - an diesem entscheidenden Punkt zeigt sich, ob jemand über die
Zeit zum Beter wird oder für Geschwätz offen ist, wie schon Benedikt weiß.