Dienstag, 25. Februar 2020

Höhen und Tiefen auf dem klösterlichen Weg - eine Reflexion

Die meisten europäischen Klöster haben heute nur wenige Mönche oder Nonnen, und meist sieht man sie durch die Gegend sprinten, jedenfalls die, die man sieht. Das Thema Burnout ist durchaus eine reale Gefahr für manche Vertreter dieser Spezies. Doch schon Benedikt wusste, dass es auch die anderen gibt, wenn er sagte: Ist aber einer so nachlässig und träge, dass er nicht willens oder nicht fähig ist, etwas zu lernen oder zu lesen, trage man ihm eine Tätigkeit auf, damit er nicht müßig ist. (RB48,23). Aber daraus jetzt einfach gute und schlechte Mönche oder Nonnen zu machen, ist gar zu sehr vereinfacht. Denn jeder ist zu gewissen Zeiten und in gewissen Situationen gut oder schlecht. Es gibt keinen Menschen, der immer und überall nur eifrig sein kann. Und - Eifer hin, Eifer her - es bleibt dabei doch noch zu fragen: Was ist das Motiv eines Engagements? Für wen oder was wird Energie geleistet? Geht es am Ende vielleicht nur darum, besser zu sein als andere? Nein - weder das eine noch das andere ist nur gut oder nur schlecht. Alle im Kloster sind menschliche Wesen, die in Gesundheit und Krankheit wie auch im Laufe des Prozesses des Alterns Phasen erleben, in denen nicht alles so läuft, wie man es gerne laufen sähe, in denen auch einmal der Punkt erreicht ist, an dem einfach keine Motivation oder Kraft da ist, das Aufgetragene mit Elan zu tun. Und es gibt auch im Kloster durchkreuzte Pläne, gescheiterte Projekte, gleichgültig wie sie zustande kamen. Wenn darin viel Arbeit steckt und diese umsonst war, folgt erstmal tiefe Ernüchterung. Dann geht vorübergehend nichts mehr, und die Sinnfrage stellt sich. Diese Höhen und Tiefen verändern! Sie verändern aber auch ganz natürlich die Dynamik im Alltagsgeschehen und deren Außenwirkung. Doch die Power, die eine Gemeinschaft als Ganze hat, ist die Summe ihrer Mitglieder. Wenn alle in den Seilen hängen, weil man zum Beispiel nicht rechtzeitig auf entsprechende Belastungen reagiert hat oder an jahrhundertealten Traditionen festhält, weil es immer so war, dann ist das einer Gemeinschaft ebenso anzumerken wie einer, in der alle vor Energie gleich platzen würden. Die ausgleichende Funktion der Körperschaft für das Wohlbefinden des Einzelnen ist nicht zu unterschätzen. Im Kloster steht man füreinander ein oder man geht gemeinsam unter!

Das Gehorsamsgelübde spielt außerdem eine wesentliche, manchmal auch den jeweiligen Schwung beeinflussende Rolle. Ein Mönch oder eine Nonne ist gehalten, jedwede Sache zu tun, die ihm / ihr aufgetragen ist, unabhängig von eigenen Vorlieben und Talenten. Die jeweils aufgetragenen Dinge haben aber mitunter nicht nur den Aspekt der Erledigung einer Aufgabe, sondern auch persönlichkeitsbildende Funktion. Was in Klöstern zählt, ist nicht monastische Selbstverwirklichung an einem ausgesuchten Ort, sondern die Bereitschaft, mit den eigenen Fähigkeiten der Gemeinschaft zu dienen. Doch auch dies lässt noch viel persönlichen Interpretationsspielraum, wo es sich besser dienen lässt. In vielen Klöstern gibt es daher eine Art Rotationssystem. Denn es kann recht schnell passieren, dass ein Einzelner seinen Verantwortungsbereich bewusst oder unbewusst zum Machtbereich ausbaut. Ein monachus kann, auf Abwege gleitend, durchaus auch einmal zum dominus monopoli werden. Aber auch das Gegenteilige gibt es, dass eine insgesamt schwache Gemeinschaft ein vermeintlich starkes Mitglied aus reiner Angst um je eigene Chancen an den Rand drängt, diese Talente also nicht so nutzt, wie sie unter optimalen Bedingungen zum Nutzen der Gemeinschaft nutzbar wären. Hier kommt zudem das Gelübde der Armut ins Spiel. Und nicht immer wird soetwas unter diesem Begriff subsummiert, da vieles ja auch unbewusst läuft: Die Bedeutung von Einfluss und Beeinflussung über persönliche Kompetenzen und Möglichkeiten ist nicht zu unterschätzen. Auch dies ist in sich weder gut noch schlecht. Denn zum einen ist es notwendig, seine Fähigkeiten auch zu gebrauchen und Verantwortung wahrzunehmen, und zum anderen kommt niemand als perfektes Wesen auf die Welt. Hier hat die jeweilige Gemeinschaft korrigierende Funktion, die aber selbst als Ganze ebenso auf dem Weg des Lernens ist.

Gerade einer unliebsamen Aufgabe entläuft man auch im Kloster schneller, sie wird häufiger durch andere Tätigkeiten und sich anbietende Gelegenheiten unterbrochen. Wenn man dies mit weltlichen Arbeitsbedingungen vergleicht, wo es ebenso ist, dürfte das wohl kaum überraschen, denn die primäre Prägung eines Mönches oder einer Nonne kommt ja von draußen und ist je nach Eintrittsalter unterschiedlich intensiv ausgefaltet. Die Vorstellung täuscht, dass in einem Kloster alles perfekt laufen muss und alle wie Bienen in der Hochsaison schaffen - dies entspricht selbst in der Natur nur als Momentaufnahme der Schöpfung, denn auch Bienen haben einen Rhythmus und Ruhephasen. Permanente Betriebsamkeit wäre unmenschlich, und solche Erwartung ist genauso ein von außen aufgestülpter Mythos wie permanente 'betende' Untätigkeit. Denn ein wesentliches Merkmal klösterlichen Seins ist der Rhythmus, der beständige Wechsel von Arbeit und Betrachtung im Gebet. Diesen Dienst übt die Gemeinschaft als Ganze aus. Es ist Sorge des Abtes / der Äbtissin, dem Individuum innerhalb der Gemeinschaft im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten den Raum zu geben, der diesem Menschen dient, seinen monastischen Weg zu gehen, in dem er seine kreativen Fähigkeiten zum Wohl und Nutzen der Gemeinschaft einsetzen kann. Auch hier hat schon Benedikt von den Starken und Schwachen gesprochen. Und es ist sehr vielfältig, worin man stark und schwach sein kann.
 
Auf dieser Ebene liegt auch der Begriff Einsamkeit. Eine Gemeinschaft respektiert im optimalen Fall die Bedürfnisse des Einzelnen und hilft ihm / ihr mit Toleranz und Geduld auf den Weg. Doch nur jemand, der ganz bei sich sein kann und es dort aushält, ist auch gemeinschaftsfähig. Vieles lässt sich kompensieren über Arbeit und Kreativität, zum Teil über lange Zeit. Eine wichtige Rolle spielt dabei der Einsatzort. In einem Klosterladen oder im Gästebereich oder in der Sakristei wird man durch mehr Infos unterhalten, mit mehr Sorgen oder auch Nöten konfrontiert, als wenn man Gästezimmer oder Gänge zu putzen hat oder die Senioren seines Hauses verpflegt. Erstgenannte Arbeitsplätze bieten durch ihre Abwechslung mehr Möglichkeiten, sich von sich selbst abzulenken und sich in den Augen anderer zu profilieren. Doch nicht immer im Leben wird es so sein, dass jemand mit 'seiner' Arbeit beschäftigt ist und reichlich Außenkontakte pflegen kann. Zudem gibt es niemanden, der dauerhaft nur produktiv und von Nutzen ist. An diesem Punkt zeigt sich dann auch die Herausforderung im Miteinander gemeinschaftlichen Lebens, dort wo Gesprächsgelegenheiten gesucht werden, weil jemand im Laufe der Jahre eben doch nicht bei sich zu Hause angekommen ist, weil es gerade keine interessanten Dinge gibt, weil gerade nichts passiert. Ja - an diesem entscheidenden Punkt zeigt sich, ob jemand über die Zeit zum Beter wird oder für Geschwätz offen ist, wie schon Benedikt weiß.

Sonntag, 2. Februar 2020

Wo hatte Gertrud ihr Grab? - Die häufigste Frage in Helfta.

Eines vorab: Helfta kennt weder die Begräbnisstätte der hl. Gertrud noch verfügt das Kloster über Reliquien dieser Heiligen. Deshalb die Gegenfrage: Wo kommen die Reliquien her, die von Gertrud in Umlauf sind? Und in der Tat gibt es Orte, die über eine authentisch beglaubigte Reliquie verfügen. Da wäre es doch ein interessanter Ansatz, einmal den Weg vom Knochen zum Grab zu gehen, statt umgekehrt. Das ist zwar aufwändig, doch irgendwo ist immer notiert, wer wann eine Reliquie wohin verschenkt hat. So müsste man dann auch schlussendlich zumindest den Namen der Instanz erfahren können, die am Anfang der Vergabe stand.
Gesetzt den Fall, Papst Innozenz XI. hätte 1678 bei der offiziellen Heiligsprechung Reliquien gehabt, so dürfte es darüber sicher auch noch Unterlagen geben. Dann müsste sich auch der Name dessen finden können, der ihre Knochen von Helfta nach Rom geschafft hätte. Und diese Person müsste dann wohl gewusst haben, wo ihr Grab war... Dies zumindest unter der Prämisse, dass es schon lang vorher eine Verehrung gegeben hätte und er nicht geschwindelt hat.
Ist eine Verehrung vor diesem Zeitpunkt nicht der Fall, so muss man annehmen, Gertrud ist als eine unter vielen anderen Mitschwestern bestattet worden. Und dies an einem Ort, der zwischen 1342 und 1525 gar nicht als Klosterort genutzt wurde, da die Schwestern ja ihr Kloster in die Stadt Eisleben verlegt hatten. Haben sie die Knochen aller bis dahin Verstorbenen dorthin mitgenommen? Dann wäre das Grab zwischenzeitlich also in Eisleben gewesen? ... Und dann nach der Reformation wieder zum alten Standort gewandert?... Darüber kann man viel fantasieren. Und dann ist da noch die nachklösterliche Zeit, die ja auch noch vor der Heiligsprechung begann, der dreißigjährige Krieg, dem es Helfta verdankt, dass die alten, bis dahin irgendwie erhaltenen Konventgebäude des Klosterquadrats restlos untergingen. Wer hat sich in jener Zeit um den Erhalt einer klösterlichen Grabstätte gekümmert? Mit dem Verstand will sich mir das alles nicht erschließen.

Andere gehen anders an die Frage heran, wollen aber wahrscheinlich zum gleichen Ziel. Da lautet die Frage dann: Wo hat man früher in einem Frauenkloster bestattet? 
Darüber gibt es sicher ein bisschen mehr an Antwortmöglichkeiten, da es einige Literatur über Frauenklöster gibt, die manchmal auch den Friedhof erwähnen. Und da erfährt man dann, dass es an folgenden Orten sein kann: im Kreuzgang oder an der nördlichen oder südlichen Aussenseite der Kirche, quasi an der Schwelle zum Haus Gottes, wie es im Psalm (Ps 84,10) heißt. Manchmal auch hinter der Ostfassade. Die Äbtissinnen begrub man im Kapitelsaal, der aber in Helfta auch schon lange nicht mehr steht. Dort würde man ja das gesuchte Grab auch nicht finden. Und was würde man denn erwarten, wenn man den Friedhof fände? Beschriftete Knochen? Aufgrund dieser Sachlage hier vor Ort weiß ich irgendwie nicht, wie jene Reliquien, die es gibt, gewonnen worden sind. Nach meiner Kenntnis ist der Platz des mittelalterlichen Nonnenfriedhofs an diesem Ort bis dato unbekannt.