Dienstag, 24. November 2020

Eine Grangie im 21. Jahrhundert

Das Wort Grangie leitet sich von seinem Verwendungszweck her, ein Gebäude zu sein, in dem man Korn aufbewahrt (lateinisch "granum"). Schon in der Bibel ist von solchen Vorratshäusern die Rede, wenn man beispielsweise an den Kornbauern denkt, der wegen einer reichen Ernte Neubaupläne hegt (vgl. Lk 12, 16-21). Da diese Getreidespeicher allerdings mit dem landwirtschaftlichen Aufschwung und der Bewirtschaftung größerer Flächen typisch für zisterziensische Lebenskultur wurden, ist das Grangienwesen zum Charakteristikum der Zisterzienser geworden. Dabei haben sich entsprechend dem Stil ihrer Bauten auch typische Formen dieser Gebäude herausgebildet. Man kann darüber philosophieren, ob das hier und da beabsichtigt war oder vielleicht nur heute so erscheint. Denn einheitliche Wirtschaftsform, gleicher Verwendungszweck und gleiche Sozialisierung sind ja doch für sich genommen schon starke Einflussgrößen für einen einheitlichen Stil. 

Wegen dieser Einmaligkeit steht das Wort Grangie symbolisch für die zisterziensische Wirtschaftsform. Ein solches Gebäude ist Teil einer gewachsenen zisterziensischen Kultur wie auch die Kirchen und Klöster.

Wenn es nun das Anliegen unserer Lebensweise ist, authentisch vom Ursprungscharisma her zu leben, dann macht es durchaus Sinn - wo es sich machen lässt - das Alte aufzugreifen und in neuer Form für heute zu gestalten. Denn das Zeichenhafte und Symbolische steht für den angestrebten Geist, der durch solche Hallen wehen möge.

Daher ist es wohl nicht besonders überraschend, wenn eine Gemeinschaft, die Landwirtschaft betreibt und neue Wirtschaftsgebäude benötigt, diese im ordenstypischen Stil zu bauen wünscht. So richtet sich der Blick aktuell nach Frankreich, genauer gesagt nach Boulaur, wo, begleitet von einem Filmteam, derzeit eine echte zisterziensische Grangie entsteht. Vom ersten Spatenstich bis zur Inbetriebnahme wird hier der Werdegang unter echten monastischen Bedingungen dokumentiert. Ein Crowdfoundingprojekt wirbt derzeit um Unterstützer dieser Sache. 

Ich halte dies für ein gelungenes Beispiel heutiger Zisterzienserinnen, sich dem reichen Erbe ihres Ordens zu stellen, im Heute neue Akzente aus alter Tradition zu setzen und damit aktuelle Zisterziensergeschichte zu schreiben. Wenn Sie mehr darüber erfahren wollen oder den Konvent vielleicht auch dabei unterstützen möchten, schauen Sie auf der Webseite der Abtei Boulaur (www.boulaur.org) unter dem Stichwort "Grange 21" nach...

Mittwoch, 4. November 2020

1294 - Helfta "in höchster Furcht vor dem König"

Das Kapitel elf des vierten Buches des Liber specialis gratiae spielt auf den ersten Thüringenfeldzug des Königs Adolf von Nassau 1294 an, der nicht weit entfernt von unserem Kloster stand. Die einleitenden Worte, es habe höchste Furcht geherrscht, und sie wären nicht weit entfernt gewesen, lassen keinen anderen Schluss zu, als dass es jederzeit möglich war, dass die königlichen Truppen einfallen konnten. So nahm die ältere Geschichtsschreibung - natürlich ohne diesen Text als Quelle einzubeziehen - an, dass nicht der alte thüringische Gerichtsort Mittelhausen bei Erfurt der Lagerplatz des Heeres war, sondern Mittelhausen bei Farnstädt. Von dort waren es bloß 13,9 km Fußweg bis Helfta. In etwas mehr als zwei Stunden zu Fuß zu schaffen, während das andere Mittelhausen, das in jüngerer Zeit postuliert wurde, 76 km weit weg ist, was den Superlativ der höchste(n) Furcht nicht erklärte.

Wie aber, wenn dem Gesagten, das ja bei den Zeitgenossen nur Wirkung entfaltet hätte, wenn es Wahres, ja Nachvollziehbares, in den Kontext der überirdischen Wirklichkeit stellte, also ein wirkliches Wunder berichtete, tatsächlich Quellenwert zugeschrieben werden würde? 

Das strategische Konzept Adolfs wäre dann natürlich zu überdenken, wenn das Mittelhausen ein anderes gewesen wäre. Vom Mittelhausen bei Farnstädt konnte er sowohl rasch ins Osterland als auch nach Thüringen ziehen. Dann wäre der Lagerplatz wohl weniger eine symbolische Siegerpose gewesen, als vielmehr ein günstiger Ausgangspunkt, der viele Wege offen ließ. Doch ein Ort ist in Mechtilds Buch nicht genannt.

In dem kurzen Text über den König heißt es, Helfta sei verschont geblieben, obwohl viele andere Klöster von schwersten Schäden betroffen wurden. Zu fragen wäre deshalb, wie es den Klöstern rings um Mittelhausen in Sachsen-Anhalt erging, ob es Hinweise baulicher, urkundlicher, archivalischer Art gibt, die in der Zusammenschau der Befunde auf solche Gewaltakte in der Region hindeuten. Diese Klöster wären Klosternaundorf, Holzzelle und Sittichenbach, vielleicht auch St. Cyriakus in Wimmelburg. Wenn es dorthin Übergriffe gegeben hätte, dann wäre es in der Tat berechtigt gewesen, sich als nächstes Opfer zu vermuten und Tage höchster Angst zu verleben.