Samstag, 11. Januar 2025

Bodenhaftung - ein Baum ohne Wurzeln ist Brennholz

Es ist sicher unumstößlich, zu sagen, dass zisterziensische Spiritualität und Lebensweise durch die Jahrhunderte eigene Akzente gesetzt hat, und doch wird jeder, der sich in der Materie auskennt, ganz sicher nicht behaupten wollen, dass da nicht auch Entwicklungen, Veränderungen und Anpassungen stattgefunden haben. Eine Etablierung vor Ort, wo auch immer, setzte voraus, dass eine gewisse Integration in das lokale Sozialgefüge stattfand. Damit verbunden waren auch Rücksichtnahmen und Individualitäten, die das Spezifikum einer konkreten Gemeinschaft ausmachen - heute natürlich vielfach historisch gewachsen und als Brauchtum gepflegt. 

Die Vorstellung, dass Uniformität eine Gleichheit in allen Dingen zeitigte, ist wohl schon immer Wunschdenken gewesen. Und während die Geschichtsschreibung mehr und mehr davon abrückt, sind Ordensleute gerade erst dort angekommen, finden das schön, und suchen - da alle Gemeinschaften kleiner werden - nun eine solche Lösung anzustreben, um Gemeinschaften und Standorte am Leben zu erhalten. 

Wenn alle überall das gleiche tun, dann kann weltweit auch ausgetauscht werden, dann können Ordensmitglieder anderer Regionen, eine fremde Sprache einfach in einem anderen Konvent lernen, verstärken gleichzeitig den Personalstand, dort, wo es bedrohlich wackelt - ja - das ist durchaus eine überbrückende Lösung.

Und die Kehrseite? Sich das vor Ort ausbleibende "Personal" woanders zu leihen, kann aber auch entwurzeln. Ein Märchenschloss kann ich in jeden Freizeitpark hineinbauen. Klöster brauchen essenziell das lokale Eingebundensein und eine Bedeutung für das Sozialgefüge vor Ort. In dem Moment, in dem ein Kloster sich selbst genügt oder das Hören auf Veränderungen nicht ernst genug nimmt, wo man als Ordenschrist nicht mehr genau sagen kann, warum man ein christliches Leben nun ausgerechnet in "Verkleidung" und mit einem Wohnsitz in einem historischen Gebäude führen möchte, oder wo man in Überanpassung an ein "Draußen" das "Drinnen" vernachlässigt und dann eigentlich wirklich nur eine historische Dekoration darstellt, ist die Zugkraft dahin. 

Auch der Blick von außen ist manchmal nötigend und gewaltsam entwurzelnd. Da versuchen regionale Entwicklungsmanager die "Marke Kloster" zu entwickeln, weil Klöster nunmal durchaus touristisch attraktiv sind und als Wirtschaftsfaktoren ausgeschlachtet werden können, ganz besonders dann, wenn da noch ein paar Nönnchen oder Mönchlein im Habit herumtanzen. Man müsse dieses oder jenes tun und wehe, wenn nicht. Sie vergessen dabei, dass dies nicht der Zweck eines Klosters ist. Religiosität ist zur skurrilen Nebensache geworden und etwa so spannend wie der Blick auf einen echten Indianer in seinem Reservat. Klosterkultur aber ist von innen her als Antwort auf Zeitgeschehen entstanden.

Das Eigene bewahren, stellt aber heute durchaus die Frage, was das Eigene ist, sowohl zentral, als auch lokal. Es mag reizvoll erscheinen und fantastisch, auf Gebräuche des 12. Jahrhunderts zurückzugreifen, plötzlich wieder alles in Latein zu singen (das allerdings die hiesige Mehrheit auch intern nicht mehr versteht, dafür aber internationale Integration erleichtert). Aber wer möchte gerne aus Buße heute noch barfuß herumlaufen und bei Wasser und Brot fasten? Wer möchte in einem Haus weitgehend ohne Heizung wohnen und seine Nostalgie bis hin zu einem Plumpsklo treiben? Das wäre dann die Extremvariante der Rückkehr zum Ursprung. Und wieviel Kokettieren mit der Armut tut auch den Insassen eines Klosters noch gut? Sagt doch Benedikt: Jedem wurde so viel zugeteilt, wie er nötig hatte (RB 34,1/ Apg 4,35). Das alles sind Fragen, die ein Heute betreffen? Was ich diesem Orden wünsche, ist ein sensibles Hören, nach innen wie nach außen.

Montag, 6. Januar 2025

Besuche, Einquartierungen und Verluste und der Blick von heute auf historische Buchbestände

Stellen Sie sich einmal vor, Sie sind Offizier in einem frühneuzeitlichen Heer, humanistisch gebildet, an Büchern und Literatur interessiert und werden im Rahmen kriegerischer Handlungen mit ihrem Truppenkontingent in einem bis dato klausurierten Frauenkloster einquartiert, deren Insassen geflohen sind, wie beispielsweise oft im 30jährigen Krieg passiert. Sie besichtigen das menschenleere Haus, darunter auch die Bibliothek, die Sie interessiert durchstöbern. Aufgrund der Gunst der Stunde ist gerade alles greifbar und auch mitnehmbar: Was nehmen Sie mit und was lassen Sie stehen?

Ein damaliger Durchschnittsmensch, gleich welchen Standes, wird vermutlich das anderweitig noch Verwertbare mitgenommen haben, also Bücher, deren Äußeres auf einen hohen Wert schließen ließen oder - bei den gebildeten Insidern und Sammlern - jene mit seltenem oder interessantem Inhalt. 

Was blieb dann aber in einer solchen Bibliothek zurück? - Genau! - das aus weltlicher Perspektive  "fromme Zeug" das ohnehin nur eine Nonne lesen würde oder - pflichtgeschuldet - musste, das, was ein fürsorglicher Oberer oder Beichtvater, je nachdem wie seine eigene Spiritualität geartet war, empfahl oder verordnete, und das, was zeitbedingte Pflichtlektüre in kirchlichen Häusern war und jeweils nur eine eng umrissene temporäre Spanne oder eine konkrete Amtszeit höherer Oberer umfasste.

Stellen Sie sich nun andererseits vor, Sie sind ein wichtiger Vertreter Roms in der Zeit ab dem Baseler Konzil, gleichfalls Liebhaber von allem, was im weitesten Sinne geistreich und schön ist, ausgestattet mit Macht und in irgendeiner die Nonnen betreffenden Angelegenheit Gast im Kloster. Sie lassen sich alles aufmerksam zeigen, wollen es natürlich auch sehen. Würde Ihnen die Äbtissin des Hauses, wenn Sie eine entsprechende Bitte nach einem besonderen Werk nachdrücklich äußerten, diese abgeschlagen haben, wenn von Ihrem Wort in Rom etwas abhängen würde, das die Zukunft der Gemeinschaft empfindlich tangierte? - Wohl kaum. Auch hier geschah Verlust, so man etwas unvorsichtig begierigen Blicken aussetzte oder jemand davon Kenntnis gegeben hatte.

Solchen unterschiedlich gearteten Verlustwellen folgte dann noch die Säkularisation, die einen weiteren Einschnitt in die bis dahin historisch gewachsenen Bestände setzte, egal ob man Verluste nun nach Ausstattung oder Inhalt beschreiben möchte. 

Und nun blicken Sie sich heute, im 21. Jahrhundert, das Relikt eines historischen Buchbestandes eines ehemaligen Frauenklosters an: Es ist vom Inhalt her ungefähr die fromm-erbauliche Buchproduktion von Männern des 16. und 17. Jahrhunderts, die diese eigens für den Absatz in Frauenklöstern verfassten, nebst einem Zentner Andachtsbüchlein, und auch noch - so scheint es - jeweils für jede Schwester ein Exemplar, sofern der Bücherwurm über die Jahrhunderte nicht fleißig war. Möge, was davon fehlt, ihm gut geschmeckt haben! Ist das aber nun das, was die Frauen auch wirklich gelesen haben? Natürlich auch. Doch: Jenseits jeglicher Gebrauchsliteratur für bestimmte Alltagsarbeiten (z.B. Medizin, Veterinärmedizin, Pharmazie, Land- und Forstwirtschaft, Geografie und Historie)? Und nur, weil kein 'Parzival' mehr vorhanden ist - hat es ihn dann auch gar nicht erst in einer solchen Bibliothek gegeben? Ich will hier nur sagen: Vorsicht! 

Die Tatsache, dass es heute nicht mehr viel Differenzierung in solchen Beständen gibt, kann auch etwas mit einer großen Überlieferungslücke zu tun haben. Zudem haben Beurteilungen von Beständen in ihren gewonnenen Rückschlüssen auch ganz sicher etwas mit dem Bild zu tun, das sich ein heutiger Autor - zumeist am Schreibtisch für zwei wichtige Karrierebuchstaben tätig - aus der Literatur von der Materie gemacht hat, im Verein mit der vorgefassten Einstellung zum Thema Nonnenleben. Nicht immer ganz richtig! - Soweit ein kleiner Kommentar zu einem Text über Nonnenliteratur, den ich gerade lese.