Einige Kirchportale zisterziensischer Frauenklöster, die auf den ersten Blick recht einfach, vielleicht sogar für den heutigen Betrachter nichtssagend gestaltet sind, verweisen auf ihre Weise nicht nur auf Christus und das kommende Heil, sondern auf die paradiesische Herrlichkeit schlechthin. Ohne figürliche Darstellungen, sind es hier rein die Zahlen und Ornamente, die sie sprechen lassen. Eine besondere Zahl ist in diesem Zusammenhang die Fünf, die für Incarnatio, Passio, Resurrectio, Ascensio und Wiederkunft zum Gericht (Sauer S. 73) steht, aber auch die fünf Wunden oder die törichten und klugen Jungfrauen symbolisieren kann. Eine besondere Darstellung dieser Art und eine Geschichte, die man sich erst erarbeiten muss, findet sich an der Kirche von Wiebrechtshausen in Niedersachsen.
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Kirchportal von Wiebrechtshausen |
Es ist ein dreistufiges Rundbogenportal mit sieben hervorgehobenen Steinen im äußeren Bogen. Es besteht je Seite aus jeweils drei mittig unterteilten Säulen mit Kapitellen aus Flechtwerk. Im Zentrum dieses Bogenportals, im Tympanon, ist ein leichtes Spitzdach eingezogen, unter dem sich säulenartig fünf angedeutete Joche unter reichem Pflanzendekor zeigen. Der Teil des Tympanonbogens oberhalb dieses "Daches" ist heute leer und war vielleicht einmal bemalt. In das Darstellungskonzept einzubeziehen sind aber auch noch der erste und zweite Rundbogen, in dem auf einem zwischen den beiden Säulen gelegenen Raum eine Arkade, gebildet aus vier Reihen mit unzähligen Augen, entstanden ist, die sich bis zu den Kapitellen hinunter erstreckt.
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Paradiesisches Tympanon von Wiebrechtshausen |
Der reiche Pflanzenschmuck
zwischen dem Dach und den fünf Jochbögen hat etwas Paradiesisches und soll wohl
auch den Tempel des himmlischen Jerusalem darstellen. Der Hinweis auf die
Erlösungstat Christi ist unverkennbar durch die Anzahl der Joche und deren Symbolik
unter dem "Dach" des Tempels gegeben. Wenn man eine Entsprechung für
die vielen Augen und die vier Reihen in der Hl. Schrift sucht und die Vierzahl
als eine Symbolik für die Evangelisten interpretiert, welche - wiederum - nach
der Tradition eine symbolische Entsprechung zu den vier Paradiesströmen haben,
so wird man von der noch vorhandenen Szenerie in das Buch der Offenbarung
geführt, wo im vierten Kapitel die Huldigung vor dem Thron Gottes geschildert
wird. Es fällt dann nicht schwer, sich im freien Feld den Thron Gottes
vorzustellen und in den mehrfachen (=7) Wölbungen, die durch die Säulen und
deren Zwischenräume über dem hier einmal vorgestellten Thron gebildet sind, den
Regenbogen, der wie ein Smaragd aussah (Offb 4,3). Der obere, aus den sieben Steinen gebildete
Abschluss der äußeren Stufe des Portals könnte dann auf die sieben Geister
Gottes verweisen, die als lodernde Fackeln vor dem Thron brennen.
Die farbliche Absetzung des oberen Teils des Portals
durch die Nutzung weißen Sandsteins, während im unteren Teil roter Sandstein
Verwendung fand, scheint das Himmlische vom Irdischen optisch abzutrennen.
Durch die mittige Unterteilung der Säulen in Halbsäulen ergeben sich, da der
äußere Bogen nicht vollständig ausgeführt ist, zehn Halbsäulen, Sinnbild für den
Dekalog, Zahl der christlichen Vollkommenheit. Die Zehn symbolisiert den Abschluss des
menschlichen und irdischen Tagewerkes. Erde und Himmel, Mensch und Gott,
Gegenwart und verheißene Zukunft - diese Verbindung, die wir heute wieder neu
feiern dürfen, ist hier an diesem Portal dargestellt, zwar völlig anders, als wir sie heute darstellen würden, jedoch nicht weniger treffend und feierlich.
Zur Symbolik vgl. Joseph Sauer, Symbolik des Kirchengebäudes und seiner Ausstattung in der Auffassung des Mittelalters, (²1924 Freiburg im Breisgau) bes. S. 62, 72f, Zitat S. 80 und 81.