Im
Jahre 1901 wurde in einer bayerischen Wochenschrift eine Sage veröffentlicht,
die sich mit der Gründung der beiden Klöster Maria Bildhausen und
Wechterswinkel befasste.[1]
Sie besteht inhaltlich eigentlich aus zwei Teilen und stellt wohl eine
Kompilation zweier ehemals unabhängiger Geschichten dar. Der erste Teil berichtet
aus der Zeit des Frühmittelalters: Als
Karl der Große auf der Salzburg bei Neustadt a. S. Hof hielt […].[2] In
dieser Epoche sei das Geschlecht der Edlen von Bastheim durch eine Gunst des
Herrschers aus Armut und damit aus der Unfreiheit in den Adelsstand erhoben
worden. Die Rede ist vom Geschenk eines Schlossgutes und eines erblichen Titels.
Der
zweite Teil der Geschichte spielt im Hochmittelalter und beschreibt zunächst
ein anderes Geschlecht, die Herren von Stein, die als sehr wohlhabend
bezeichnet werden. Es ist von einem Stammschloss die Rede, wodurch weitere
Herrschaftssitze zu unterstellen sind. In Form einer Steigerung gegenüber der
Schilderung der erstgenannten Dynasten und ihrem Besitz wird bei letzteren die
Schönheit ihrer Burg besonders hervorgehoben: Nicht weit von der Ritterburg der Edlen von Bastheim hatten die Herren „von
Stein“ ihr reichbegütertes Stammschloß. Die Zierden der prächtigen Burg aber
waren die adeligen Kinder, ein Sohn und eine Tochter.[3] Geschildert
wird in der Folge ein tragischer Unglücksfall, wodurch das begüterte und mit 2 Nachkommen
gesegnete Ehepaar die beiden noch jugendlichen Kinder verlor. Während der Sohn
bei einem Ausritt vom scheuenden Pferd stürzte, sich im Steigbügel verfing und
dadurch zu Tode geschleift wurde, ereilte die Tochter der Tod, als sie sich
beim Anblick des Leichnams ihres Bruders so erschreckte, dass sie eine Nadel,
die sie während der Unterbrechung ihrer Handarbeit zwischen die Lippen
genommen hatte, in den Hals bekam und daran erstickte. Dieses Ereignis sei - so
der Volksmund - Anlass gewesen, die beiden genannten Klöster zu gründen. Die
Mutter habe Wechterswinkel und der Vater Bildhausen gegründet. Soweit die
Geschichte.
Der
erste Teil dieser Erzählung hat eigentlich nichts mit der Klostergründungshandlung
zu tun, sondern liefert lediglich in umschriebener Form die Information, dass
die Bastheimer Edelherren, will man es ganz sachlich formulieren, einst aus dem
Ministerialenstand aufgestiegen waren[4], dies jedoch sicher nicht schon zur Zeit Karls des Großen. Wichtiger
als der Herrschername ist hier wohl die Nachricht der Herrscherpräsenz auf der
Salzburg nahe dem unterfränkischen Bad Neustadt an der Saale, welche mit dem
letzten Liudolfinger endete. So scheint der zweite Teil der Geschichte
historisch deutlich spannender zu sein. Deren roter Faden ist die Gründung
zweier Klöster durch hochadelige Eheleute aus Anlass des Verlusts ihrer beiden
Nachkommen. Die Klosternamen sind Wechterswinkel und Bildhausen.
Für
das Männerkloster Bildhausen (1157) ist der Gründer bekannt: Pfalzgraf Hermann
von Stahleck initiierte dieses Monasterium 1156[5], erlebte seine Gründung aber selbst
nicht mehr. Doch für das Frauenkloster Wechterswinkel fehlt eine solche Gründerpersönlichkeit,
und es bestand zu jener Zeit bereits mehr als 10 Jahre, denn Wechterswinkel
erhielt seine erste Urkunde bereits 1144[6]. Sollte
dieses überlieferte Gründungsmotiv für
Bildhausen wahr sein, so müsste sich das auslösende Ereignis wahrscheinlich im
Jahre 1156 zugetragen haben. Dann hätte auch Hermanns Ehefrau Gertrud – der in
der Sage genannte Name des Geschlechts wird hier erst einmal ignoriert – eine
Klostergründung zu etwa gleicher Zeit unternommen, was sie auch tatsächlich hat,
nämlich St. Theodor in Bamberg (1157).[7] Die Pfalzgräfin Gertrud war sogar zuvor
1156 in Wechterswinkel eingetreten[8],
sodass sich auch noch ein Bezug zu diesem in der Sage genannten Kloster
herstellen lässt, von dem aus das Bamberger Kloster mit Nonnen besiedelt wurde.[9] Diese
reich begüterten Eheleute waren damals neben den Henneberger Grafen die
Vertreter des mächtigsten Dynastengeschlechts
in dieser Region. Hermann von Stahleck starb, ohne dass wir etwas über irgendwelche
Nachkommen wissen. In der Literatur wird er als kinderlos verstorben
beschrieben. Ein Zusammenhang zwischen den zwei namentlich genannten Klöstern
und einem hochadeligen Ehepaar ohne Erben lässt sich also auch historisch herstellen. Über einen
stattgehabten familiären Unglücksfall im Vorfeld der Gründungen Bildhausen und St. Theodor in Bamberg ist allerdings nichts bekannt. Dennoch böte ein
solcher Schicksalsschlag ein gutes Motiv für einen derartig freigiebigen Umgang
mit den eigenen Besitztümern, wie ihn Hermann von Stahleck im Jahre 1156
plötzlich praktizierte. Zumindest vom Ergebnis, d.h. den erfolgten
Klostergründungen her gesehen, lässt sich schließen, dass es sich bei dem
beschriebenen Ehepaar um das Pfalzgrafenpaar handelte. Doch die Sage benennt die Herren von Stein als Gründerpaar
und bezeichnet ihren Stammsitz als den Wohnort zur Zeit des Unglücks. Die
Herren von Stein werden in frühen Urkunden de Wenkheim oder de Lapide,
de Petra genannt[10]
und hatten ihre Stammburg, die Burg Altenstein, auf dem heute noch so genannten
Berg südöstlich von Bildhausen.[11]
Ihre so große Bedeutung in der Region hatten sie vielleicht in der Zeit der
verbalen Endredaktion der Geschichte, nicht jedoch zur Zeit des Ereignisses um
die Mitte des 12. Jahrhunderts. Denn auch dieses Geschlecht stammte ursprünglich
aus dem Ministerialenstand. Die Güter um Bildhausen – möglicherweise auch die nahe
Bildhausen gelegene Burg Altenstein – waren
ehedem Besitztümer des Hermann von Stahleck.[12] Die
Herren von Stein traten im Grabfeld und in der weiteren Umgebung
Bildhausens in einige Rechte des genannten Pfalzgrafen ein und mögen dort auch die
Burg übernommen haben. Da eine Geschichte sich nur dann gut erzählt und
tradiert, wenn sie den Zuhörern vertraute Personen oder Geschlechter enthält,
so mag diese Abänderung der personellen Fakten später entstanden sein, dann
nämlich, als die Herren von Stein tatsächlich unter den reichsten und einflussreichsten
Adligen des Grabfeldes waren. Der rheinische Pfalzgraf Hermann war da schon lange
vergessen. Dass aber die Geschichte selbst völlig frei erfunden wäre, ist
unwahrscheinlich. Auch im 12. Jahrhundert hat nicht alle Tage einer der bedeutendsten Grafen sein Hab und Gut so plötzlich, so reichlich und in
dieser konsequenten Weise in Klostergut umgesetzt. Zwar waren Eintritte adliger
Familien ins Kloster keine ausgesprochenen Einzelfälle, aber auch nicht gerade
ein solches Massenphänomen, dass sie keiner Erwähnung mehr wert waren. Zudem waren
die Motive solcher Handlungen sehr unterschiedlich. In einer Zeit, in der man
außergewöhnliche Ereignisse auch im Hinblick auf Bestrafung oder göttliche
Gnade bewusst oder unbewusst interpretierte, hatte die mündliche Tradierung einer
solchen Geschichte wohl auch noch einen moralischen Zweck. Man kann also davon
ausgehen, dass der diesbezügliche Inhalt daher nicht groß abgewandelt, sondern
allenfalls erzählerisch besser herausgestellt wurde.
Was Urkunden und Annalen nicht liefern, könnte hier eine regionale
Sage kundtun: Hermann von Stahleck
scheint im Herbst 1155 oder im Frühjahr des Jahres 1156 seine beiden noch jungen Nachkommen aus der
zweiten (?) Ehe mit Gertrud von Wettin verloren zu haben. Seine Gattin muss damals
noch recht jung gewesen sein, denn sie verstarb erst 1191.[13]
Sie hätte damit die Möglichkeit einer weiteren Heirat nach dem Tode ihres
Mannes gehabt, so die Eheleute nicht zuvor bereits – wie offenbar geschehen –
einen Klostereintritt miteinander vereinbart gehabt hätten. Wann diese zweite
Ehe geschlossen wurde, kann nicht mit Sicherheit gesagt werden. Da in der Sage
das Alter des Sohnes als Jüngling bezeichnet ist, dieser bereits reiten konnte
und selbständig mit dem Pferd ausgeritten war, dürfte er mindestens 12 oder 13
Jahre alt gewesen sein. Rechnerisch kommt man dann auf das Geburtsjahr 1143
oder 1144. Zu dieser Zeit ist Hermann von Stahleck Pfalzgraf geworden, und auch
der Vater seiner künftigen Ehefrau, der Markgraf von Meißen, Konrad von Wettin,
wurde damals entsprechend königlich gefördert: Er erhielt 1143 das Land
Rochlitz und das Erbe der Groitzscher Grafen vom König, auch die Vogtei der
Bistümer Naumburg und Zeitz sowie über das Benediktinerkloster Chemnitz.[14] Als
Gegenleistung wurde er Anhänger des Stauferkönigs und nahm an den Feldzügen
nach Polen und Böhmen teil. Eine Eheverbindung mit dem neuen, offenbar gerade
verwittweten, Pfalzgrafen stellte für den Wettiner eine deutliche Rangerhöhung
dar und stellte ihn in Königsnähe. Die Beförderung seines ehemaligen Schwagers Hermann
von Stahleck in den Pfalzgrafenrang steht wohl in diesem Zusammenhang und scheint
dem König durch die eheliche Verbindung mit der Wettinerin, die mütterlicherseits
eine staufische Verwandte war, politisch sehr genutzt zu haben.
[1] Georg RAUCH, Stiftung der
Klöster Wechterswinkel und Bildhausen, (Das Bayernland. Illustrierte
Wochenschrift für Bayerns Volk und Land 12, München 1901) 250.
[2] Rauch, (wie Anm. 1). Wichtiger als der Herrschername
ist hier wohl die Nachricht der Herrscherpräsenz auf der Salzburg nahe dem
unterfränkischen Bad Neustadt an der Saale, welche mit dem letzten Liudolfinger
endete und deren genaue Lage bis heute Gegenstand der archäologischen Forschung
ist. Über Erkenntnisse zur Ausdehnung und den Lagebeziehungen des Königsgutes
Salz und seiner Besitzungen siehe: Ludwig WAMSER, Neue Befunde zur
mittelalterlichen Topographie des fiscus Salz im alten Markungsgebiet von Bad
Neustadt a. d. Saale. Das archäologische Jahr in Bayern (1984) 147 - 151 und Heinrich
WAGNER / Joachim ZEUNE (Hgg.), Das Salzburgbuch, (Bad Neustadt an der Saale
2008).
[3] Rauch, (wie Anm. 1).
[4]Zu den Ministerialen von Bastheim
/ Lauer vgl. Heinrich WAGNER, Neustadt a. d. Saale, (Historischer Atlas von
Bayern. Teil Franken. Reihe 1. Heft 27, München 1982) 75f und 133 – 138; Johanna
REIMANN, Johanna REIMANN, Zur Besitz- und Familiengeschichte der Ministerialen
des Hochstifts Würzburg, Mainfränkisches
Jahrbuch für Geschichte und Kunst 15 (1963) 1 - 117, hier 99f.
[5] Vgl. Lionel BAUMGÄRTNER, Hermann
von Stahleck, Pfalzgraf bei Rhein (1142-1156), (Dissertation Leipzig, Altenburg 1877) 27f, 48: Regesten Hermanns,
Nr. 70.
[6] Päpstliche Bestätigung durch
Lucius II., Orig. StAWü WU 7047.
[7] Vgl. BAUMGÄRTNER (wie Anm. 5) 29; Robert ZINK, St. Theodor in Bamberg 1157-1554.
Ein Nonnenkloster im mittelalterlichen Franken, (Historischer Verein für die
Pflege der Geschichte des Ehemaligen Fürstbistums Bamberg. Beiheft 8), (Bamberg
1978).
[8] Michael WIELAND, Kloster
Wechterswinkel. Sonderabdruck aus CistC
11 (1899).
[9] BAUMGÄRTNER (wie Anm. 5) 29; Bischöfliche Gründungsurkunde von 1157, Orig. StABa
BU Nr. 283.
[10] Vgl. Johanna REIMANN, Die
Ministerialen des Hochstifts Würzburg in sozial-, rechts- und verfassungsgeschichtlicher
Sicht, Mainfränkisches Jahrbuch für Geschichte und Kunst 16 (1964) 1 - 266,
hier 30-32.
[11] Auch zu dieser Burg, die, im
Bauernkrieg zerstört, aber noch bis ins frühe 18. Jahrhundert bewohnt wurde, dann
verfiel und unterging, gibt es mehrere Sagen, die Ludwig Bechstein
zusammengetragen hat: Ludwig BECHSTEIN,
Die Sagen des Rhöngebirges und des Grabfeldes, (Würzburg 1842) 192 – 199. Eine
wissenschaftliche Bearbeitung des Ortes und seiner Geschichte ist mir
unbekannt.
[12] Vgl. BAUMGÄRTNER (wie Anm. 5) 7, 29, wo die zur Ausstattung Bildhausens
verwendeten Orte genannt werden..
[13]
Vgl. BAUMGÄRTNER (wie Anm. 5) 29 mit Anm. 158. Der Autor übernimmt diese
Nachricht von Aemilian Ussermann.
[14] Vgl. Andreas THIELE, Erzählende
genealogische Stammtafeln zur europäischen Geschichte. Bd. 1: Deutsche
Fürstenhäuser, Teilbd. 1: Deutsche Kaiser-, Königs-, Herzogs- und Grafenhäuser (Frankfurt
a. M. 1991 - 1993) Tafel 183; Hilmar SCHWARZ: Die Wettiner des Mittelalters und
ihre Bedeutung für Thüringen, (Kleine Schriftenreihe der Wartburg-Stiftung 7, Leipzig
1994) 162.