Derzeit
gibt es Engagement und Interesse, um in dem Jahr, in dem sich der
Ausbruch des Ersten Weltkrieges zum einhundertsten Mal jährt, auch
die subjektive Verarbeitung solcher Katastrophen anhand von
individuellen Zeugnissen
zu beleuchten. Traumatisierende Verluste an Leib und Leben oder auch
nur Lebensqualität hat es aber in vielen Kontexten von Krieg und
Vertreibung sowie Gewalttätigkeiten jedweder Genese gegeben und
könnte damit auch ein relevanter Aspekt für die Aufarbeitung der
Geschichte und gelebten Spiritualität monastischer Gemeinschaften
sein. Dass
dabei Vertreter klösterlicher Gemeinschaften nicht immer nur Opfer,
sondern auch Täter sein konnten, wird schon bei Cäsarius von
Heisterbach erwähnt: Tötet
sie alle, Gott wird die Seinen gut wiedererkennen!,
habe Generalabt Arnault Amaury, der päpstliche Bevollmächtigte im
Kreuzzug gegen die Albigenser, bei der Belagerung der Stadt Béziers
im Jahre 1209 auf die Frage eines Soldaten geantwortet, wie man die
Katholiken von den Häretikern unterscheiden könne - es wurden 20000
Menschen umgebracht.1
Eine weitere Gestalt dieser traurigen Kategorie in der
Zisterziensergeschichte war der thüringische Mönch Heinrich
Pfeiffer. Er war Anführer eines Bauernhaufens und stürmte und
brandschatzte sein eigenes Kloster.2
Ob und wie Vertreterinnen zisterziensischer Frauenklöster eine
aktive politische Rolle im Zusammenhang von Krieg und
Kriegsdienstleistungen in ihrer jeweiligen Region spielten oder
in kriminelle Machenschaften verwickelt waren,
ist bisher wenig zusammengetragen worden.3
Auch sind Beispiele ausgelebter Machtfülle im oben geschilderten
Ausmaß meines Wissens bisher nicht für mittelalterliche und
frühneuzeitliche Frauenzisterzen erarbeitet (schon gar nicht
klosterübergreifend).
Dies ist die eine Seite, menschliche Fehlleistungen zu erforschen und im heutigen öffentlichen Interesse wohl noch die interessantere.
Dies ist die eine Seite, menschliche Fehlleistungen zu erforschen und im heutigen öffentlichen Interesse wohl noch die interessantere.
Doch
wie sieht es mit der passiven Seite des Gewalt-erfahrens aus? Diese
Seite hat die Wissenschaft bisher noch weniger
interessiert,
obwohl sie einen guten soziologischen Einblick geben könnte. Wie
haben sich betroffene geistliche Menschen, die ihr Leben durch
Willkürakte von Rittern, Bauern, Söldnern und Behörden
existenziell durchkreuzt sahen, dazu gestellt? Was ging in ihnen vor
und wie haben die Klosterschwestern und Klosterbrüder weitergelebt,
etwa nach Vergewaltigungen oder Verstümmelungen?4
Welche Hilfe wurde ihnen innerhalb ihrer Gemeinschaften zuteil, und
wie gingen die Nichtbetroffenen dort mit ihnen um? Wie geistlich oder
weltlich lebten und reagierten Klosterleute im Miteinander in Elend
und Not? Wie gestaltete sich das Herzstück klösterlichen Seins, das
vertrauensvolle Gebet und das geschwisterliche Miteinander im
Ernstfall? Welche
Akzente einer geistlich-caritativen Positionierung sind in Notzeiten
erkennbar?
Im
Zusammenhang mit der Vertreibung - sowohl Einzelner als auch ganzer
Gemeinschaften - wäre weiter zu fragen: Was blieb in den Menschen an
gefühlten Verlusten zurück und bestimmte womöglich den weiteren
Verlauf der Existenz? Und worin bestand eigentlich der Verlust eines
Menschen, der sich auf Gedeih und Verderb an einem ganz konkreten Ort
auf Lebenszeit Gott verfügt hatte? War es das geordnete Leben, die
klare Führung oder der spezielle Ort? Was betrauerten diese Menschen
am meisten? Und was verbitterte sie? Wie verfolgten sie
beispielsweise Tagesereignisse und auf welcher Seite standen sie
jeweils? Die äußere Not und die wirtschaftlichen Einbußen, z.B. in
Bauernkrieg und Säkularisation, sind immer wieder untersucht und
beschrieben worden. Über das, was einfache Ordensleute in diesen
Zeiten lebten, hofften, dachten und fürchteten, wissen wir bisher
wenig. Es gab die Flucht ganzer Konvente in andere Klöster des
Ordens und in die Städte und Stadthöfe, so die Flucht von
Oberschönenfeld nach Stams, von Seligenthal nach Salzburg, von
Wechterswinkel
nach Oberweimar, von Königsbruck nach Lichtenthal. Andere wiederum
flüchteten zu den Verwandten. Auch im unterschiedlichen
Fluchtverhalten spiegelt sich nicht nur politisches Kalkül, sondern
auch die geistliche Dimension von Menschen wieder. Auch hier gäbe es
Stoff für vielfältige Fragestellungen.
1Vgl.
Marcel LEBEAU, Chronologie de l'histoire de Cîteaux, Cîteaux 1997,
21.
2
Zur Person: Günter VOGLER, Pfeiffer, Heinrich. In: Neue Deutsche
Biographie (NDB), Bd. 20, Duncker & Humblot, Berlin 2001, 319f,
http://daten.digitale-sammlungen.de/0001/bsb00016338/images/index.html?seite=335.
(abgerufen am 24.05.2014). Jüngster Beitrag: Thomas T. MÜLLER, Vom
Zisterzienser zum Prediger im Bauernkrieg: Heinrich Pfeiffers
Beziehungen zum Kloster Reifenstein. Cistercienserchronik
120/3 (2013) 381-388.
3
In diese Kategorie gehört wenigstens ein bisschen der Beitrag von Elisabeth LUSSET,
Propriae salutis immemores? Réflexions sur la correction des
moniales criminelles en Occident, XIIIe-XVe siècles. In:
Figures de femmes criminelles, De l'Antiquité à nos jours, hgg.
von Loic CADIET, Frédéric CHAUVAUD, Claude GAUVARD [u.a. ] (Paris
2010) 255-265.
4 Zum
Thema Krankheit wäre in jüngerer Zeit der folgende Buchbeitrag
erwähnenswert: Susanne KNACKMUSS, 'Moniales debiles' oder
behinderte Bräute Christi. (Chronische) Krankheit, Behinderung und
Familienbande im Frauenkloster um 1500. In: Homo debilis. Behinderte
- Kranke - Versehrte in der Gesellschaft des Mittelalters, hg. von
Cordula NOLTE (Studien und Texte zur Geistes- und Sozialgeschichte
des Mittelalters 3, Korb 2009) 335-368.