Der
sechste Teil des Buches der Mechtild von Hakeborn enthält eine
Lebensbeschreibung ihrer leiblichen Schwester, der Äbtissin Gertrud
von Hakeborn. Dort steht der folgende Text, der einen Amplexus
beschreibt, nicht - wie man erwarten könnte - den einer Nonne, die
tief versunken ins Gebet eine Ekstase hat, sondern noch eine Spur
existenzieller, nämlich als Verbindung von Tod und Leben (und in
dieser Reihenfolge!):
"Cum
vero in Passione legeretur, et inclinato capite tradidit spiritum,
Dominus velut ex incontinentia ferventissimi amoris inclinatus super
agonizantem ambabus manibus Cor proprium aperiens super eam
expandit." 1
Damit
dürfte klar sein, dass es ein Karfreitag war. Doch es ist nicht nur
die Stunde des Sterbens Jesu in Gegenwart von Maria und dem
Evangelisten Johannes, die bei der Sterbenden als anwesend
geschildert werden. An diesem Tag wird im gleichen Evangelium auch
von der Seitenöffnung berichtet, die hier mit dem Bild der liebenden
Inclinatio Christi, dem Amplexus, zu einem Gipfel liebevollen
Einswerdens, d.h. zu einem Akt wundervoller Schönheit verknüpft
werden. Da ich darüber bisher noch nie etwas gelesen habe, während
die Beschreibung des Amplexus des Bernhard von Clairvaux durch
Konrad von Eberbach2
die Kunst durch die Jahrhunderte reichlich inspiriert hat, wollte ich
hier einmal darauf aufmerksam machen.
1 Liber
specialis gratiae in: Sanctae Mechtildis Virginis Ordinis Sancti
Benedicti Liber specialis gratiae accedit Sororis Mechtildis ejusdem
Ordinis Lux Divinitatis, (Revelationes Gertrudianae ac Mechtildianae
II, hg.von den Mönchen von Solesmes) Poitiers / Paris 1877, S.
382.
2 Conradus,
Mönch in Clairvaux, später in Eberbach und Abt daselbst: Exordium
Magnum Cisterciense oder Bericht vom Anfang des
Zisterzienserordens,(Quellen und Studien zur Zisterzienserliteratur
3, übersetzt und kommentiert von Heinz Piesik [Hg.], Teil 1, Bücher
I- III, Langwaden (2000), S. 154f.,Lib. II, Cap. VII, 5-16.