Sedulius, Carmen Paschale, Liber II,
1-69 in deutscher Übersetzung
Der schrecklichste
Drache hatte den erstgeborenen Mann
von der Blumen
tragenden Stätte gestürzt und durch verlockenden Duftes
Verführung der
armen Seele den bitteren Tod gebracht.
Den verdienten Zorn,
ihn durch Vergänglichkeit dem Gesetz unterwerfend,
hatte der Waghals
nicht allein gespürt, sondern durch ihn auch
das ganze
Menschengeschlecht - weh' Dir - schuldige Gattin!
Bist du, Frau,
schuldiger als jener listige Drache?
Listig war jener
Drache, doch bist, Frau, auch du schuldig.
Leider! Unsterblich
waren die zwei. Nachdem zu gedeihen begann
der Anfang, ging er
verloren, und nahm aus dem Samen das Unheil.
Wozu die zahlreichen
Tage, was hat jenem genützt seine Zeit,
über neunhundert
glückliche Jahre zu sehen,
zu schauen die
zehnte Generation von Kindern und Greisen
und schon bald seine
Abstammung nicht mehr zu wissen, da doch im Nu das
unumkehrbare Los der
letzten Stunde letztlich besiegt sein würde,
sei es auch spät,
und da doch das kurze Leben durch die lange Lebenszeit
hindurch Schmerz
darüber empfindet, dass nichts von Dauer ist.
Die Hoffnung gab
keine Aussicht auf Rückkehr und das Grab
des ersten
Erdbewohners hätte mit blindem Schlund die Nachkommen verschlungen,
wäre nicht jener
gütige Vater gewesen, schnell bereit die Schuld zu verzeihen,
zurückhaltend, sie
zu vergelten, damit er sein Geschöpf nicht verlöre
und (damit) dessen
Abbild dazu diente, Gott ähnlich lebend,
dem Tode unähnlich
zu sein. Gnädig erbarmt,
hat er das Werk
erneuert und verhindert, dass die bitteren Früchte,
die die Väter aßen,
den Kindern die Zähne stumpf werden ließen.
Und er gewährte,
ihnen immer versöhnt zu sein, damit
von dort, wo die
Schuld den Tod gegeben hat, die Güte das Heil gebe.
Und wie aus spitzem
Dornstrauch die weiche Rose heranwächst,
ohne Verletzendes zu
haben, hat sich die Zierde vor der Mutter verborgen:
So ging, aus dem
heiligen Ursprung der Eva, Maria hervor,
dass die neue
Jungfrau sühnte der alten Jungfrau Untat,
damit, da die
lasterhafte erste Natur
der Macht des Todes
unterworfen war, durch Christi Geburt der Mensch neu geboren würde
und den Schandfleck
des alten Menschen ablegen könnte.
Nachdem (es) die
alten Propheten vorausgesagt hatten,
verkündete der
Engel eilends der jungfräulichen Maria:
Und das Gesagte
wurde Gewissheit und der Schoß des Mädchens
bald mit der
glänzenden Last gefüllt, und der Schöpfer aller Dinge
war unter dem Gesetz
des Geborenwerdens. Es staunte das jungfräuliche Mädchen
über den gespannten
Leib und freute sich, dass sie ihren Schöpfer gebären wird.
Und als nun seit dem
Anfang neun Monate zum zehnten geglitten,
erstrahlte der
heilige Tag, an dem er mit der schwangeren Jungfrau
das verheißene Werk
erfüllte: 'Das Wort ist Fleisch geworden.',
weil es in uns
wohnen wollte. Das größte Kind hat damals
das Innere seines
Tempels rein bewahrend,
den Weg freigemacht,
ohne ihn zu verletzen: Er ist für die Jungfrau als Zeuge
der Geburt anwesend,
indem er, was er geschlossen betreten hat, auch geschlossen verlässt.
Welch' neues Licht
in der Welt, welch' himmelweite Gnade!
Was war das für ein
Glanz, der durch Christus vom Mutterschoß Mariens
in neuer Schönheit
ausging, wie selbst der Bräutigam
im prächtigen
Gemach frohlockte, der liebliche 'Schönste
unter den Menschen',
durch dessen strahlende Gestalt
die Anmut der Gnade
bezaubernd von den Lippen verbreitet wird.
O, bereitwillige
Liebe!, die uns nicht sklavisch
an das von der Sünde
beherrschte Joch fesselt,
zu der Sklaven
äußerstem Glied machte sich der Herr und Erste seit Ursprung der
Welt.
Der alles bei der
Geburt mit eigenen Gaben bekleidete,
hat sich mit einer
Windel aus spärlichen Tüchern bedeckt;
Den nicht die hohe
Welle einer stürmischen See,
nicht aller Länder
Grund bewegt und die große Weite
des Himmelsgewölbes
nicht fasst, der wohnte ganz in kindlichem Leib,
und eingeengt
schwieg Gott in der Krippe.
Sei gegrüßt,
heilige Mutter, die als Gebärende den König zur Welt gebracht hat,
der den Himmel und
die Erde durch die Zeiten steuert,
dessen Name und
Herrschaft im ewigen Kreislauf
alle Dinge umfasst
und ohne Ende bleibt,
die in ihrem seligen
Leib die Freude einer Mutter mit der Zierde der Jungfrau vereint,
nie zuvor warst du
gesehen, noch folgte dir eine:
Als einzige Frau
ohne Vorbild, hast du Christus gefallen.
Eigene Übersetzung für CFM 2017/2018 nach folgender Quelle:
SEDULIUS
, Opera omnia, herausgegeben von Johannes HUEMER , ergänzt von Victoria
PANAGL , Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum, Band 10, Wien,
Österreichische Akademie der Wissenschaften, ²2007.