Montag, 10. September 2018

Das Generalkapitel von 1134!?

Ist es möglich, zu wissen, was auf dem Generalkapitel von 1134 beschlossen wurde? Ich sage: Ja! Meine bevorzugte Perspektive ist ja der Blick auf die Frauenklöster, doch manchmal sieht man viel mehr:

Generalkapitelsszene aus der Kirche von Aubazine

Chrysogonus Waddell - ich rekapituliere hier aus dem Gedächtnis, da mir der Band 1) momentan nicht vorliegt - hat, als er die Generalkapitelstatuten bearbeitete, die Beobachtung gemacht, dass es darin einen Block ohne Nummerierung gibt, der in die Mitte der 30er Jahre gehört. Er stellte daraufhin die These auf, dass diese Beschlüsse möglicherweise jene sind, die in der Zeit des Abtes Guido verabschiedet wurden. Wenn man nun diese elf Beschlüsse liest, - nachfolgend zitiert nach der deutschen Ausgabe Einmütig in der Liebe 2) - so könnte man sie auch als die elf Tagesordnungspunkte eines einzigen Generalkapitels ansehen, auf dem es - die Themenwahl betrachtend - hoch her ging. Man könnte sie dann vielleicht als die Beschlüsse nach Guido, nämlich des GK 1134 begreifen. Im Kontext dessen, was als etablierte Geschichtskenntnis bekannt ist, nämlich der Tod des letzten Gründervaters und die Absetzung des Nachfolgers Guido, erscheint das nicht wirklich überraschend. Ins Auge fallen dabei aber auch die anfänglichen Moderationsprobleme, die einer Lösung bedurften, nachdem es auf diesem Kapitel zunächst keinen Primus inter Pares mehr gab.

Ich halte diese Beschlüsse für eine Antwort auf die Fragen, die sich aus dem Fall des Guido ergaben, voraussetzend, dass er schon öffentlich bekannt war. Überraschend ist aber doch, da nichts Genaues überliefert ist, dass der erste Beschluss - wenn man diese Statuten in der vorgegebenen Reihenfolge liest, die Nr. [29] - indirekt die Frauenklöster betrifft, denn es wird verboten, dass Mönche oder Äbte die Profess einer Nonne entgegennehmen dürfen, es sei denn, sie läge im Sterben. Beeindruckend ist auch, dass gleich anschließend ein weiteres unerwartetes Thema behandelt wird, das immer wieder einmal Zielrichtung der Polemik der Gegner war [30]: das vorgebliche Vagantendasein von Äbten und die damit verbundene Standortfrage der Klöster. Hier erhellt sich dann auch der Hintergrund: Die erwählte Armut und der Standort mancher Gründung brachte gewisse Notlagen gerade in den Anfangsjahren neuer Klöster mit sich, und die Äbte gingen in die Städte, lehrten das Evangelium und erwarben dadurch Spenden und neue Mitbrüder. Dieses Betteln war ein Stein des Anstoßes. Es wird offenbar, wie vielschichtig dieses Thema aus der internen Perspektive ist. Scheinbar ist es auch schwierig, einen Konsens zu finden. Deshalb behandelt das nächste Statut [31] die Form der Beschlussfassung.

Sodann befasst man sich beim nächsten TOP immer noch mit fehlerhaften Verhaltensweisen und Sonderprivilegien von Äbten. Diesmal geht es um einen Verstoß gegen die Armut und den zweckentfremdenden Umgang mit dem Erwerb des Klosters [32]. Es scheint, als würde dieses Thema auch in den nächsten Tagesordnungspunkt hineinspielen, in dem Sinn, dass wohl nicht alle Erwerbungen aus unlauterer Motivation angenommen wurden. Hier spiegelt sich die erreichte Dichte der Klostergründungen wieder [33]. Nun kommt im nächsten Punkt eine neue Idee, die man auch als gewisse Kontrollinstanz von unten einstufen kann, ohne dass es so formuliert wäre: Der Besuch des Mutterklosters durch einen Abt des Tochterklosters [34]. Der dann folgende Punkt behandelt die Autorität des Generalkapitels [35]. Danach wird eine Milderung der Präsenzpflicht für neue Äbte im Jahr ihrer Wahl eingeführt [36]. In den letzten drei Punkten geht es dann noch um die notwendige personelle Stärke einer Abtei, so sie eine Tochtergründung plante [37]. Auch in Statut [38] geht es nochmal um die Autorität des Generalkapitels in Abgrenzung zu den Bischöfen, bevor man sich noch abschließend um die Größe eines Kissens [39] sorgt, welches möglicherweise eines für den Chorplatz gewesen sein könnte. Denn dort könnte der Bedarf bestehen und die Größe den Nachbarn auch stören. - Soweit die Inhaltsangabe.

Schaut man sich das in dieser Reihenfolge an, so kann man nicht umhin, festzustellen, dass es am Anfang recht hoch her ging und am Ende entspannter wurde. Und irgendwie stelle ich mir dieses Kapitel so vor - allerdings nicht völlig unbegründet... Man lese einmal das Poem des Paganus Bolotinus! - War vielleicht Guido von Trois-Fontaines und Cîteaux die dort gemeinte Person und der Stein des Anstoßes eines wirklich umfassenden Skandals? Verstieß er gleich gegen mehrere Gelübde? Des Chanonikers Entrüstung und Vorwürfe könnten der Auslöser gewesen sein und haben durchaus eine Themenwahl, die geeignet erscheint, das Generalkapitel in einigen Punkten als Antwort darauf zu sehen. Nur die von Jean Leclercq in der Revue Bénédictine 68 vorgeschlagene Datierung 3) die sich aus den darin genannten 32 Jahren nach der Gründung ergibt, müsste dann vielleicht den Bezugspunkt wechseln. Denn erst mit Albérichs Abbatiat und nach der Bulle von Paschalis II. Desiderium quod - vom 19.10.1100 - begann dieses Kloster von Cîteaux wirklich trennende Wege zu gehen. Diese zwei Jahre später aber würden dann das Jahr 1132 als Entstehungszeit des Poems erbringen. Dann ergäbe sich tatsächlich eine relative zeitliche Nähe zum Generalkapitel von 1134.

Eines der interessantesten Ergebnisse einer derartigen Betrachtungsweise wäre der Blick auf die Entstehung der Kompetenz der vier Primarabteien hinter Cîteaux, die sich möglicherweise erst zu diesem Zeitpunkt herausbildete. Einen Modellversuch dieses 1+4 - Systems hatte es damals schon gegeben: Die Statuten von Jully wurden vom Abt von Molesme und vier Zisterzienseräbten gemeinsam verfasst. Das aber lässt darauf schließen, dass Bernhard von Clairvaux diese Idee ins Generalkapitel eingebracht hätte.

PS: Ich bitte um Nachsicht...im Galopp geschrieben.
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1) Chrysogonus Waddell [Hg.], Twelfth-century statutes from the Cistercian general chapter: latin text with English notes and commentary. (Studies et documenta 12) Cîteaux 2002.
2) Hildegard Brem / Alberich Martin Altermatt, Einmütig in der Liebe. Die frühesten Quellentexte von Cîteaux. (lat./dt.). (Quellen und Studien zur Zisterzienserliteratur 1) Grevenbroich 1998, 138-145.
3) Jean Leclercq, Le poeme de Payen Bolotin contre les faux eremites. In: Revue Bénédictine 68 (1958) 52-86.