Freitag, 7. September 2018

Wurden die Frauenklöster für die Schuld eines korrupten Abtes bestraft?

Vermutlich hat der Tod Stephan Hardings dem Orden eine Krise gebracht, die weit größer einzustufen ist, als man sich gerne für das goldene Gründungsjahrhundert einzugestehen traut. Und dies ist seinem direkten Nachfolger geschuldet.

Den wenigen Quellen, die direkt von diesem Guido von Trois-Fontaines reden, ist nur zu entnehmen, dass er wie ein 'getünchtes Grab' - eigentlich ein Schriftzitat gegen die Pharisäer (Mt 23,27) - gewesen sei, dass ein 'unreiner Geist' in ihn gefahren sei, als er das Amt übernahm und dass es sich um eine Art von 'impuritas' (Exordium Magnum Cisterciense I, 31) - höchstwahrscheinlich also um ein Sexualvergehen - gehandelt haben muss, das zu seiner postwendenden Entfernung aus dem Amt geführt hatte. Das hier zitierte Schriftstück hat seine Basis in der mündlichen Überlieferung von Clairvaux, die zu Beginn des letzten Drittels des 12. Jahrhunderts durchaus noch auf Zeitgenossen der Ereignisse zurückgreifen konnte. Früher datierte schriftliche Quellen äußern sich weit zurückhaltender. Ordericus Vitalis spricht in seiner Kirchengeschichte im 8. Buch beispielsweise nur von tadelnswerter Amtsführung. Robert von Torigny (PL 202, 1311) spricht nur von 2 Jahren Amtsführung und dem Verlassen des Klosters danach 'insipienter'. Ob er damit sagen will, er habe den Verstand verloren oder die klassische Wortbedeutung 'gottlos' hier gemeint wäre, kann nicht sicher gesagt werden, zumal er es nur sachlich erwähnt. Warum aber ist dies so vage gehalten? Schließlich muss es doch einen gravierenden Vorfall gegeben haben, wenn er mit Absetzung geahndet wurde und die Richtung des Vergehens bzw. eines der Vergehen wenigstens andeutungsweise überliefert ist? War die Beweislage dann doch so erdrückend eindeutig, obwohl nirgends ein Hauch davon notiert ist? Dazu könnte es zwei verschiedene große Gründe geben: Entweder, es wäre dem Orden tatsächlich gelungen, die Einzelheiten so unter den Tisch zu kehren, dass nichts nach außen drang, was bei einem Skandal, der auf einem Generalkapitel zu einer Absetzung des Primus inter Pares führt, sehr schwer vorstellbar ist. Oder: Es haben alle gewusst und der Fall hat so hohe öffentliche Wellen geschlagen und den Orden so beschämt, dass man dazu lange Zeit nichts sagen brauchte und doch noch oft genug daran erinnert wurde, bis Gras darüber wuchs.

Angenommen, der zweite Fall wäre wahr, in welcher Intention kann und sollte man sich heute als Ordensmitglied dieser Frage stellen? Einfach das Gras nach bald neunhundert Jahren wegzureißen, kann ja wohl keine hehre Motivation dazu sein. - Angesichts so vieler Missbrauchsfälle und Korruptionsskandale in der Kirche unserer Zeit, kann und sollte der Blick auf das, was man aus der Geschichte lernen kann, sicher nicht fehlen.

Die Armutsbewegung der sich der Orden ja verdankt, war eine zeitbedingte Antwort damals. Und die ersten beiden Laterankonzilien haben sich zum Thema Sexualvergehen durch Ordensleute als Factum und bezüglich der zu behebenden Mängel jener Zeit auch verbindlich geäußert. Und die Orden haben reagiert. Vielleicht auch der Zisterzienserorden? Sogar der Gästebereich in den Klöstern kam dabei - wen wundert's - zur Sprache. Die örtliche Trennung der Prämonstratenser-Doppelklöster nach Geschlechtern in der Folge des zweiten Laterankonzils spricht dafür, dass es nicht nur um die altehrwürdigen, nun aber als dekadent angesehenen Klöster ging, sondern offenbar auch um Klöster, die aus der Reformbewegung hervorgegangen waren. Hermann von Tournai erhebt um 1145 [1] im dritten Buch seiner Schrift Miraculae S. Mariae Laudunensis (PL 156, 996B) den Vorwurf, dass in die Klostergemeinschaft der Zisterzienser nur Männer aufgenommen werden. Dies schiebt er an dieser Stelle ganz eindeutig Bernhard in die Schuhe, obwohl er sagt, er sei nicht der Gründer.  Warum tut er das? Den daraus erhobenen Vorwurf, Bernhard sei misogyn gewesen, hat schon Jean Leclercq widerlegt [2]. Was genau will er also damit über Bernhard aussagen? Es ist ja offensichtlich, dass er seiner Meinung nach etwas damit zutun haben muss. Sonst hätte er es nicht so gesagt. Warum also Bernhard und nicht Stephan Harding? War dieser vielleicht schon nicht mehr am Leben, als die Entscheidung fiel, keine Frauen im Orden zu haben? Hatte es in jener Zeit auch die Zisterzienser skandalös getroffen? Und hatte Bernhard in der Lösung eines solchen Skandals eine wesentliche Rolle gehabt? Wenn es so wäre, dann kann er das, was da beschlossen wurde, einzig auf dem Generalkapitel von 1134 propagiert haben. Denn, auch wenn seine Stimme gehört wurde, so war er im Orden - einmal abgesehen von jenem vielleicht außergewöhnlichen Generalkapitel - nie die Nummer eins. Und dann wäre in der Tat an die Sache mit diesem Guido zu denken, dessen Absetzung ja vor der Wahl eines neuen Abtes von Cîteaux stattgefunden haben muss. Hatte die distanzierende Reaktion auf gewisse Aspekte der Betreuung gegründeter Frauenklöster im Rahmen der Ehrenrettung der Mönche ihren Platz? Wurden die Frauen erst hier plötzlich ausgeschlossen? Dies wäre dann eine wirklich gründliche und radikale Maßnahme gewesen, die einiges plausibel macht, z.B. auch den Tumult auf dem GK von 1147.

Natürlich kann es nur eine These sein, doch wäre es immerhin möglich, dass der Skandal um Abt Guido von Cîteaux auch ein Frauenkloster betraf, dass dies hohe Wellen geschlagen und zu dieser seltsamen Symbiose von gelebten Zisterzienserbräuchen mit einer geistlichen Betreuung durch Regularkanoniker geführt hatte, die wir bei den Frauenklöstern kennen, eben weil die Mönche beschlossen hatten, sich nicht mehr (!) in erster Instanz zu kümmern.
Dies aber konnte deshalb so weitgehend flächendeckend umgesetzt werden, da zwei der Primarabteien damals bereits exemt waren und die Charta Caritatis verbindliches Ordensrecht war, das auch die Bischöfe zu respektieren hatten. Es betraf vor allem die neu entstehenden Frauengemeinschaften und führte bei den bestehenden Frauenklöstern, unterstellt unter Männerzisterzen bischöflichen Rechts, sicher erst mit einer gewissen zeitlichen Latenz zu Veränderungen in der Leitung.

Es könnte also sein, dass erst das Generalkapitel von 1134 die Frauen ausschloss.

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 [1] Die Jahreszahl 1145 ist der Rezension von Alain Saint-Denis zur französischen Edition der Miracula: Alain Saint-Denis, « Édition des sources d’histoire médiévale : Les miracles de sainte Marie de Laon d’Hériman de Tournai », Bulletin du centre d’études médiévales d’Auxerre | BUCEMA [En ligne], 13 | 2009, mis en ligne le 15 septembre 2009, consulté le 07.09.2018. URL : http://cem.revues.org/11241 ; DOI : 10.4000/cem.11241

[2] Jean Leclercq, La femme et les femmes dans l'oeuvre de Saint Bernard. Paris, Tequi-Verlag 1983.