Für
den Mainzer Erzbischof Heinrich I. steht bis heute die Frage der familiären
Herkunft als unklar im Raum, obwohl es schon viele unternommen haben, diese
näher zu beleuchten. Angefangen bereits 1880 mit einer Greifswalder
Dissertation[1]
über Einträge in Lexika bis hin zum Werk von Christoph Waldecker über das
Beziehungsgeflecht und die Politik der Mainzer Erzbischöfe in einem definierten
Zeitraum des 12. Jahrhunderts[2]
sowie zahlreiche Erwähnungen seiner Herkunft in verschiedenen Werken[3],
hat bisher nur Josef Heinzelmann Neues in das festgefahrene Konstrukt seiner familiären
Beziehungen eingebracht, als er 1997 fast beiläufig das Geschlecht der
Bilsteiner ins Spiel brachte.[4]
Dabei war es die Person und Genealogie der diesem Erzbischof verwandten
Frideruna von Grumbach, die ihn zu diesem Schluss veranlasste. Eine
Auseinandersetzung mit dem mutmaßlichen Stammbaum dieser Frau existiert bisher
nur bei Wilhelm Rein, der sie für eine mögliche Gräfin von Seeburg hielt[5]. Wilhelm
Stoewer, der einen Stammbaum der Wartberger (auch: Wartburger) erarbeitete,
erwähnt sie darin.[6]
Alle sonstigen Erwähnungen ordnen sie – sich meist auf diese Angabe berufend – danach
den Grafen von Wartburg mit Sitz in Wasungen zu. Denn Erzbischof Heinrich
bezeichnete die Brüder von Wartburg selbst als seine Kognaten. So war man versucht,
auch seine Verwandte Frideruna in diesen Familienzusammenhang zu stellen. Da
sich diese Zuordnung aus den wenigen Quellenangaben zur Familie des Erzbischofs
ergibt, der Frideruna als linea nobis
sanguinis propinqua[7]
ohne nähere Details bezeichnet, ist sie keineswegs zwingend.[8] Dass
die Wartburger aber zu den Bilsteinern gehörten, ist anhand gleicher Leitnamen
nachgewiesen.[9]
Mit Josef Heinzelmann kann man nun für die Abstammung dieser Frau durch die Beachtung des Beinamens
eines ihrer Söhne als „von Wiggershausen“ und den Nachweis ihres eigenen Vornamens
Frideruna bei den Bilsteinern diese Fakten als ein plausibles Argument für die Zuordnung zu
diesen Dynasten gelten lassen, doch muss sie (Frideruna) damit nicht unbedingt
zum Wartburger Zweig der Familie gehört haben.[10] Bezüglich
der Frage nach der Herkunft des Mainzer Erzbischofs mag die familiäre –
kognatische – Beziehung zu den Wartburgern dann bedeuten, dass Heinrich mütterlicherseits
ein Bilsteiner wäre. Frideruna aber ist doch wohl in väterlicher Linie den
Bilsteinern zuzurechnen. Da beide (der Erzbischof und seine Verwandte
Frideruna) etwa um die gleiche Zeit verstarben und entsprechend ihrer sozialen
Rolle und beigegebenen Bezeichnung schon älter waren[11],
liegt das Verhältnis Cousin / Cousine wohl näher als Onkel und Nichte oder
Tante und Neffe. Unter dieser Voraussetzung müsste also Friderunas Tante
Heinrichs Mutter sein, während umgekehrt ihr Vater Heinrichs Onkel wäre.
Gesetzt
den Fall, dass Heinrich durch seine Mutter mit den Bilsteinern verwandt ist, in
welchen Familienverband hatte diese eingeheiratet? Wer war der Vater des
Erzbischofs? Gibt es einen Hinweis auf eine verheiratete Bilsteinerin, die in
den Kontext von Heinrichs Sozialkontakten passt und daher als Mutter dieses
Erzbischofs infrage käme? Hierzu möchte ich den überlieferten Beinamen ‚Felix
von Harburg‘ des Erzbischofs näher betrachten:
Zunächst
wird bei dem traurigen Ende seiner Regierung und den kirchenpolitischen
Spannungen wohl niemand annehmen, dass der Beiname ‚Felix‘ aus den späten
Lebensjahren stammt.[12]
So ist ein Zusammenhang zu dem nachfolgenden Ort wohl nicht völlig aus der Luft
gegriffen und könnte in seinen jungen Jahren entstanden sein.
Die
hier im Namen genannte Harburg ist eine wüst gefallene Burg bei Breitenworbis im
Eichsfeld im heutigen Bundesland Thüringen. Ihre greifbare Geschichte beginnt
1124 mit einer Schenkung der Richardis von Stade an den Mainzer Erzbischof
Adalbert I..[13]
Richardis von Stade, Gräfin von Spanheim-Lavant,
ist die Tochter des Hermann von Spanheim und einer (unbekannten) Bilsteinerin,
einer Tochter des Grafen Wigger.[14] Es
wäre denkbar, dass sie das mütterliche Erbe als Mitgift bekam, als sie
ihrerseits Rudolf von Stade heiratete. Damit ist nicht ausgeschlossen, dass die
Familie des Hermann zuvor zeitweilig auf der von den Bilsteinern ererbten Harburg wohnte bzw. dass der spätere Erzbischof Heinrich die
eigene Kindheit bei seiner z. B. älteren Schwester verbrachte (vielleicht nach
dem Tod der Mutter). Denn Jahre später tritt ein mit dem Erzbischof verwandter
Bilsteiner Graf namens Wigger auf, der auch nach der Harburg benannt wird und die - nun
Mainzerische Burg - zu diesem Zeitpunkt wahrscheinlich zu Lehen hatte.[15] Die
namensgebende Burg beherbergte offenbar sowohl Spanheimer als
auch Bilsteiner. Damit nun zu den Spanheimern: Männliche
Leitnamen der Kärntener Linie der Spanheimer Dynasten waren Siegfried, Eberhard, Bernhard, Hartwig,
Hermann und auch Heinrich. Von den
Kindern des Spanheimers Hermann sind nur Richardis und ein Sohn Ceizolf bekannt,
doch muss das nicht heißen, dass diese keine - vor allem keine jüngeren - Geschwister
hatten.[16]
Da es üblich war, unter den Kindern mindestens den Leitnamen zu vergeben,
muss man in dieser Familie mindestens einen (vielleicht früh verstorbenen) Sohn
namens Hermann annehmen. Doch auch Heinrich ist für einen nachgeborenen Sohn
möglich, da dieser Name in der Familie der Spanheimer vorkommt. Es ist also nicht ganz abwegig anzunehmen, wenn
auch bisher nicht beweisbar, dass der 1118 verstorbene Magdeburger Burggraf
Hermann von Spanheim der Vater des Mainzer Erzbischofs war. Eine solche
Beziehung würde eine Erklärung für den Beinamen ‚von Harburg‘ geben können und
eine Struktur schaffen, in die sich sowohl Frideruna als auch Heinrich gut
einordnen lassen. Mindestens würde sie aber darlegen, dass die bisherigen
Annahmen nichts weiter als eben dies sind und weitere Möglichkeiten beizufügen
und näher zu prüfen wären. Nachfolgend wäre dann nicht so überraschend, wieso
sich Heinrich als Erzbischof um die Sache der ehemals Disibodenberger Nonne und
nachfolgenden Äbtissin Richardis (= Tochter der oben genannten Richardis) so sorgte, denn sie wäre seine Nichte gewesen.[17] Die Neuvergabe des Lehens eines ermordeten
Ehepaares – nämlich seiner Nichte Luitgard und ihres Mannes Hermann von
Winzenburg – hätte dann erneut einen Anstrich auch familiärer Fürsorge und eben
auch etwas regionale Familienpolitik bedeutet.[18] Die
großzügige Schenkung der Richardis von Stade an das Erzbistum Mainz könnte die
Karriere ihres Bruders (?) Heinrich also weiter gefördert haben. Diese
familiären Beziehungen und ihre Bündnispolitik wären zu berücksichtigen, will
man sowohl die Königsnähe als auch die Klosterpolitik des Mainzer Erzbischofs Heinrich besser
verstehen.
[1] Wilhelm STOEWER, Heinrich I.,
Erzbischof von Mainz (1142-1153), (Dissertation Greifswald 1880).
[2] Christoph WALDECKER, Zwischen
Kaiser, Kurie, Klerus und kämpferischen Laien. Die Mainzer Erzbischöfe 1100 bis
1160. (Quellen und Abhandlungen zur Mittelrheinischen Kirchengeschichte 101,
Mainz 2002, zugleich Diss. Bonn 2001).
[3] Beispielsweise.: Karl-Heinz
ULLRICH, Die Einleitungsformeln (Arengen) in den Urkunden des Mainzer
Erzbischofs Heinrich I. (1142-1153)., (Dissertation Marburg 1961) 11; Wolfram
ZIEGLER, König Konrad III. (1138-1152). Hof, Urkunden und Politik (Forschungen
zur Kaiser- und Papstgeschichte des Mittelalters. Beihefte zu J. F. Böhmer,
Regesta Imperii 26, Wien / Köln / Weimar 2008) 78 – 83; Stephanie HAARLÄNDER, Die Mainzer Kirche in
der Stauferzeit (1122-1249), in: Handbuch der Mainzer Kirchengeschichte Bd. 1,
hg. von Friedhelm JÜRGENSMEIER,
(Beiträge zur Mainzer Kirchengeschichte 6, Würzburg 2000) 290-331; Bernd
SCHÜTTE, König Konrad und der deutsche Reichsepiskopat (Studien zur
Geschichtsforschung des Mittelalters 20, Hamburg 2004) 67.
[4] Vgl. Josef HEINZELMANN,
Hildegard von Bingen und ihre Verwandtschaft. Genealogische Anmerkungen, Jahrbuch
für westdeutsche Landesgeschichte 23 (1997) 7-88, hier 58. Frideruna wurde bisher
mehr im Kontext der Familie ihres Ehemannes betrachtet.
[5] Wilhelm REIN, Die fränkische
Dynastie von Grumbach (mit Regesten von 1000-1243), Anzeiger für Kunde der deutschen Vorzeit Ser. NF 10 (1863) 201-204,
241-245, 281-286; Ders., Kloster Ichtershausen. Urkundenbuch, Geschichte und
bauliche Beschreibung, (Thuringia sacra. Urkundenbuch, Geschichte und
Beschreibung der thüringischen Klöster. 1,Weimar 1863) 4f (Anmerkung 3, 190.
Online unter: http://www.archive.org/details/thuringiasacrau00unkngoog, abgerufen am 19.07.2014.
[6]Wilhelm STOEWER, Heinrich I.,
Erzbischof von Mainz (1142-1153), (Dissertation Greifswald 1880) 9.
[7] Gründungsurkunde des Klosters
Ichtershausen, Orig. ThStA Gotha, Geheimes Archiv QQ lf 2.
[8] Zu diesem Schluss kommt: Josef HEINZELMANN,
Hildegard von Bingen und ihre Verwandtschaft. Genealogische Anmerkungen, Jahrbuch für westdeutsche Landesgeschichte
23 (1997) 7-88.
[9] Karl KOLLMANN, Die „Grafen
Wigger“ und die Grafen von Bilstein, (Dissertation Göttingen 1978) 1980.
[10] Vgl. Josef HEINZELMANN,
Hildegard von Bingen und ihre Verwandtschaft. Genealogische Anmerkungen, Jahrbuch
für westdeutsche Landesgeschichte 23 (1997) 7-88.
[11] Frideruna wird als matrona bezeichnet.
[12] Exemplarisch: Christoph
WALDECKER, wie Anm. 2, 105f; Wolfram Ziegler, wie Anm. 3
[13] Urkundenbuch des Eichsfeldes
Teil I (Anfang saec. IX bis 1300)., hg. von der Historischen Kommission für die
Provinz Sachsen und für Anhalt, bearb. von Alois SCHMIDT, Nachdruck. Mit
Ergänzungen und Nachträgen von Helmut Godehardt, (Duderstadt 1997) 31 Nr. 50, 37
Nr. 62.
[15]„ in comecia cognati nostri Wickeri“, unter den Zeugen: Wicker v. Horeburg,
Otto DOBENECKER (Bearb. u. Hg.) Regesta diplomatica necnon
epistolaria historiae Thuringiae I, (Jena 1896, Nachdruck Vaduz 2010) 351,
Nr.1672.
[16]http://www.manfred-hiebl.de/genealogie-mittelalter/spanheimer/hermann_1_burggraf_von_magdeburg_+_1118.html, abgerufen am 19.07.2014. Einen ergänzenden Hinweis auf eine noch unbearbeitete Genealogie der Spanheimer, die "Genealogia Sponhemica" des Kaspar Zillesius von 1664 lieferte kürzlich (28.08.2014) Klaus Graf im Blog Archivalia: http://archiv.twoday.net/stories/967549228/, abgerufen am 02.09.2014.
[17] L. van ACKER (Hg.), Hildegardis Bingensis Epistolarium, (Corpus
Christianorum. Continuatio
Mediaeualis 91, Pars prima, Turnholt 1991) 53 Nr. 18, 54 Nr. 18R; http://www.manfred-hiebl.de/genealogie-mittelalter/udonen_grafen_von_stade/richardis_von_spanheim_graefin_1151/richardis_von_spanheim_graefin_von_stade_+_1151.html, abgerufen am 19.07.2014.
[18] Christoph WALDECKER, Art.
Heinrich, Erzbischof von Mainz (1142-1153), in: BBKL, Band XXIII (2004), Spalten 628-635.