Samstag, 19. Juli 2014

Der erzbischöfliche Mitgründer von Ichtershausen, Heinrich I. Felix von Harburg - seine familiäre Herkunft


Für den Mainzer Erzbischof Heinrich I. steht bis heute die Frage der familiären Herkunft als unklar im Raum, obwohl es schon viele unternommen haben, diese näher zu beleuchten. Angefangen bereits 1880 mit einer Greifswalder Dissertation[1] über Einträge in Lexika bis hin zum Werk von Christoph Waldecker über das Beziehungsgeflecht und die Politik der Mainzer Erzbischöfe in einem definierten Zeitraum des 12. Jahrhunderts[2] sowie zahlreiche Erwähnungen seiner Herkunft in verschiedenen Werken[3], hat bisher nur Josef Heinzelmann Neues in das festgefahrene Konstrukt seiner familiären Beziehungen eingebracht, als er 1997 fast beiläufig das Geschlecht der Bilsteiner ins Spiel brachte.[4] Dabei war es die Person und Genealogie der diesem Erzbischof verwandten Frideruna von Grumbach, die ihn zu diesem Schluss veranlasste. Eine Auseinandersetzung mit dem mutmaßlichen Stammbaum dieser Frau existiert bisher nur bei Wilhelm Rein, der sie für eine mögliche Gräfin von Seeburg hielt[5]. Wilhelm Stoewer, der einen Stammbaum der Wartberger (auch: Wartburger) erarbeitete, erwähnt sie darin.[6] Alle sonstigen Erwähnungen ordnen sie – sich meist auf diese Angabe berufend – danach den Grafen von Wartburg mit Sitz in Wasungen zu. Denn Erzbischof Heinrich bezeichnete die Brüder von Wartburg selbst als seine Kognaten. So war man versucht, auch seine Verwandte Frideruna in diesen Familienzusammenhang zu stellen. Da sich diese Zuordnung aus den wenigen Quellenangaben zur Familie des Erzbischofs ergibt, der Frideruna als linea nobis sanguinis propinqua[7] ohne nähere Details bezeichnet, ist sie keineswegs zwingend.[8] Dass die Wartburger aber zu den Bilsteinern gehörten, ist anhand gleicher Leitnamen nachgewiesen.[9] Mit Josef Heinzelmann kann man nun für die Abstammung dieser Frau durch die Beachtung des Beinamens eines ihrer Söhne als „von Wiggershausen“ und den Nachweis ihres eigenen Vornamens Frideruna bei den Bilsteinern diese Fakten als ein plausibles Argument für die Zuordnung zu diesen Dynasten gelten lassen, doch muss sie (Frideruna) damit nicht unbedingt zum Wartburger Zweig der Familie gehört haben.[10] Bezüglich der Frage nach der Herkunft des Mainzer Erzbischofs mag die familiäre – kognatische – Beziehung zu den Wartburgern dann bedeuten, dass Heinrich mütterlicherseits ein Bilsteiner wäre. Frideruna aber ist doch wohl in väterlicher Linie den Bilsteinern zuzurechnen. Da beide (der Erzbischof und seine Verwandte Frideruna) etwa um die gleiche Zeit verstarben und entsprechend ihrer sozialen Rolle und beigegebenen Bezeichnung schon älter waren[11], liegt das Verhältnis Cousin / Cousine wohl näher als Onkel und Nichte oder Tante und Neffe. Unter dieser Voraussetzung müsste also Friderunas Tante Heinrichs Mutter sein, während umgekehrt ihr Vater Heinrichs Onkel wäre.

Gesetzt den Fall, dass Heinrich durch seine Mutter mit den Bilsteinern verwandt ist, in welchen Familienverband hatte diese eingeheiratet? Wer war der Vater des Erzbischofs? Gibt es einen Hinweis auf eine verheiratete Bilsteinerin, die in den Kontext von Heinrichs Sozialkontakten passt und daher als Mutter dieses Erzbischofs infrage käme? Hierzu möchte ich den überlieferten Beinamen ‚Felix von Harburg‘ des Erzbischofs näher betrachten:

Zunächst wird bei dem traurigen Ende seiner Regierung und den kirchenpolitischen Spannungen wohl niemand annehmen, dass der Beiname ‚Felix‘ aus den späten Lebensjahren stammt.[12] So ist ein Zusammenhang zu dem nachfolgenden Ort wohl nicht völlig aus der Luft gegriffen und könnte in seinen jungen Jahren entstanden sein.

Die hier im Namen genannte Harburg ist eine wüst gefallene Burg bei Breitenworbis im Eichsfeld im heutigen Bundesland Thüringen. Ihre greifbare Geschichte beginnt 1124 mit einer Schenkung der Richardis von Stade an den Mainzer Erzbischof Adalbert I..[13] Richardis von Stade, Gräfin von Spanheim-Lavant, ist die Tochter des Hermann von Spanheim und einer (unbekannten) Bilsteinerin, einer Tochter des Grafen Wigger.[14] Es wäre denkbar, dass sie das mütterliche Erbe als Mitgift bekam, als sie ihrerseits Rudolf von Stade heiratete. Damit ist nicht ausgeschlossen, dass die Familie des Hermann zuvor zeitweilig auf der von den Bilsteinern ererbten Harburg wohnte bzw. dass der spätere Erzbischof Heinrich die eigene Kindheit bei seiner z. B. älteren Schwester verbrachte (vielleicht nach dem Tod der Mutter). Denn Jahre später tritt ein mit dem Erzbischof verwandter Bilsteiner Graf namens Wigger auf, der auch nach der Harburg benannt wird und die - nun Mainzerische Burg - zu diesem Zeitpunkt wahrscheinlich zu Lehen hatte.[15] Die namensgebende Burg beherbergte offenbar sowohl Spanheimer als auch Bilsteiner. Damit nun zu den Spanheimern: Männliche Leitnamen der Kärntener Linie der Spanheimer Dynasten waren Siegfried, Eberhard, Bernhard, Hartwig, Hermann und auch Heinrich. Von den Kindern des Spanheimers Hermann sind nur Richardis und ein Sohn Ceizolf bekannt, doch muss das nicht heißen, dass diese keine - vor allem keine jüngeren - Geschwister hatten.[16] Da es üblich war, unter den Kindern mindestens den Leitnamen zu vergeben, muss man in dieser Familie mindestens einen (vielleicht früh verstorbenen) Sohn namens Hermann annehmen. Doch auch Heinrich ist für einen nachgeborenen Sohn möglich, da dieser Name in der Familie der Spanheimer vorkommt. Es ist also nicht ganz abwegig anzunehmen, wenn auch bisher nicht beweisbar, dass der 1118 verstorbene Magdeburger Burggraf Hermann von Spanheim der Vater des Mainzer Erzbischofs war. Eine solche Beziehung würde eine Erklärung für den Beinamen ‚von Harburg‘ geben können und eine Struktur schaffen, in die sich sowohl Frideruna als auch Heinrich gut einordnen lassen. Mindestens würde sie aber darlegen, dass die bisherigen Annahmen nichts weiter als eben dies sind und weitere Möglichkeiten beizufügen und näher zu prüfen wären. Nachfolgend wäre dann nicht so überraschend, wieso sich Heinrich als Erzbischof um die Sache der ehemals Disibodenberger Nonne und nachfolgenden Äbtissin Richardis (= Tochter der oben genannten Richardis) so sorgte, denn sie wäre seine Nichte gewesen.[17]  Die Neuvergabe des Lehens eines ermordeten Ehepaares – nämlich seiner Nichte Luitgard und ihres Mannes Hermann von Winzenburg – hätte dann erneut einen Anstrich auch familiärer Fürsorge und eben auch etwas regionale Familienpolitik bedeutet.[18] Die großzügige Schenkung der Richardis von Stade an das Erzbistum Mainz könnte die Karriere ihres Bruders (?) Heinrich also weiter gefördert haben. Diese familiären Beziehungen und ihre Bündnispolitik wären zu berücksichtigen, will man sowohl die Königsnähe als auch die Klosterpolitik des Mainzer Erzbischofs Heinrich besser verstehen.


[1] Wilhelm STOEWER, Heinrich I., Erzbischof von Mainz (1142-1153), (Dissertation Greifswald 1880).
[2] Christoph WALDECKER, Zwischen Kaiser, Kurie, Klerus und kämpferischen Laien. Die Mainzer Erzbischöfe 1100 bis 1160. (Quellen und Abhandlungen zur Mittelrheinischen Kirchengeschichte 101, Mainz 2002, zugleich Diss. Bonn 2001).
[3] Beispielsweise.: Karl-Heinz ULLRICH, Die Einleitungsformeln (Arengen) in den Urkunden des Mainzer Erzbischofs Heinrich I. (1142-1153)., (Dissertation Marburg 1961) 11; Wolfram ZIEGLER, König Konrad III. (1138-1152). Hof, Urkunden und Politik (Forschungen zur Kaiser- und Papstgeschichte des Mittelalters. Beihefte zu J. F. Böhmer, Regesta Imperii 26, Wien / Köln / Weimar 2008) 78 – 83;  Stephanie HAARLÄNDER, Die Mainzer Kirche in der Stauferzeit (1122-1249), in: Handbuch der Mainzer Kirchengeschichte Bd. 1, hg. von  Friedhelm JÜRGENSMEIER, (Beiträge zur Mainzer Kirchengeschichte 6, Würzburg 2000) 290-331; Bernd SCHÜTTE, König Konrad und der deutsche Reichsepiskopat (Studien zur Geschichtsforschung des Mittelalters 20, Hamburg 2004) 67.
[4] Vgl. Josef HEINZELMANN, Hildegard von Bingen und ihre Verwandtschaft. Genealogische Anmerkungen,  Jahrbuch für westdeutsche Landesgeschichte 23 (1997) 7-88, hier 58. Frideruna wurde bisher mehr im Kontext der Familie ihres Ehemannes betrachtet.
[5] Wilhelm REIN, Die fränkische Dynastie von Grumbach (mit Regesten von 1000-1243), Anzeiger für Kunde der deutschen Vorzeit Ser. NF 10 (1863) 201-204, 241-245, 281-286; Ders., Kloster Ichtershausen. Urkundenbuch, Geschichte und bauliche Beschreibung, (Thuringia sacra. Urkundenbuch, Geschichte und Beschreibung der thüringischen Klöster. 1,Weimar 1863) 4f (Anmerkung 3, 190. Online unter: http://www.archive.org/details/thuringiasacrau00unkngoog, abgerufen am 19.07.2014.
[6]Wilhelm STOEWER, Heinrich I., Erzbischof von Mainz (1142-1153), (Dissertation Greifswald 1880) 9.
[7] Gründungsurkunde des Klosters Ichtershausen, Orig. ThStA Gotha, Geheimes Archiv QQ lf 2.
[8] Zu diesem Schluss kommt: Josef HEINZELMANN, Hildegard von Bingen und ihre Verwandtschaft. Genealogische Anmerkungen, Jahrbuch für westdeutsche Landesgeschichte 23 (1997) 7-88.
[9] Karl KOLLMANN, Die „Grafen Wigger“ und die Grafen von Bilstein, (Dissertation Göttingen 1978) 1980.
[10] Vgl. Josef HEINZELMANN, Hildegard von Bingen und ihre Verwandtschaft. Genealogische Anmerkungen,  Jahrbuch für westdeutsche Landesgeschichte 23 (1997) 7-88.
[11] Frideruna wird als matrona bezeichnet.
[12] Exemplarisch: Christoph WALDECKER, wie Anm. 2, 105f; Wolfram Ziegler, wie Anm. 3
[13] Urkundenbuch des Eichsfeldes Teil I (Anfang saec. IX bis 1300)., hg. von der Historischen Kommission für die Provinz Sachsen und für Anhalt, bearb. von Alois SCHMIDT, Nachdruck. Mit Ergänzungen und Nachträgen von Helmut Godehardt, (Duderstadt 1997) 31 Nr. 50, 37 Nr. 62.
[15]in comecia cognati nostri Wickeri“, unter den Zeugen: Wicker v. Horeburg, Otto DOBENECKER (Bearb. u. Hg.) Regesta diplomatica necnon epistolaria historiae Thuringiae I, (Jena 1896, Nachdruck Vaduz 2010) 351, Nr.1672.
[16]http://www.manfred-hiebl.de/genealogie-mittelalter/spanheimer/hermann_1_burggraf_von_magdeburg_+_1118.html, abgerufen am 19.07.2014. Einen ergänzenden Hinweis auf eine noch unbearbeitete Genealogie der Spanheimer, die "Genealogia Sponhemica" des Kaspar Zillesius von 1664 lieferte kürzlich (28.08.2014) Klaus Graf im Blog Archivalia: http://archiv.twoday.net/stories/967549228/, abgerufen am 02.09.2014.
[17] L. van ACKER (Hg.), Hildegardis Bingensis Epistolarium, (Corpus Christianorum. Continuatio Mediaeualis 91, Pars prima, Turnholt 1991) 53 Nr. 18, 54 Nr. 18R; http://www.manfred-hiebl.de/genealogie-mittelalter/udonen_grafen_von_stade/richardis_von_spanheim_graefin_1151/richardis_von_spanheim_graefin_von_stade_+_1151.html, abgerufen am 19.07.2014.
[18] Christoph WALDECKER, Art. Heinrich, Erzbischof von Mainz (1142-1153), in: BBKL, Band XXIII (2004),  Spalten 628-635.