Dienstag, 12. August 2014

Klöster und Kriege

Angesichts der dem derzeitigen traurigen Jubiläum geschuldeten Berichterstattung könnte man sich einmal fragen, was die Erfahrung von Leid, Not und Krieg mit den Ordensleuten des 20. Jahrhunderts in spiritueller Hinsicht gemacht hat. Denn dass gerade in den Jahren nach diesen Ereignissen plötzlich die Eintrittszahlen stiegen, Neugründungen unternommen wurden und eine gewisse Zunahme an Religiosität zu beobachten ist, unterscheidet sich zum einen von den festzustellenden personellen Schwankungen der Klöster nach mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Kämpfen und kann zum anderen nicht allein nur als ein von außen herangetragenes Phänomen betrachtet werden. Es muss auch etwas innen passiert sein. Auch viele Zisterzienserinnenklöster hatten Lazarette, wenn nicht im Ersten, so doch mindestens im Zweiten Weltkrieg. War das erzwungene Unterbrechen klösterlicher "Routine" ein Anreiz, sich tiefer mit existentiellen Fragen auseinanderzusetzen und sich dadurch monastisch neu an den eigenen Quellen zu orientieren? Oder war es die inzwischen auch medial (Zeitungen / Radio) verfügbare Konfrontation mit dem Leid der nun massenhaft betroffenen Zivilbevölkerung?  Wie - könnte man sich fragen - wirkten sich die so vermittelten zweifelhaften Erfolge der militärischen Katastrophen der Weltkriege auf das Ordensleben aus? Derartige klösterliche Archivquellen und Tagebücher sind durchaus vorhanden, jedoch bisher weder als Kulturgut angesehen noch schon bearbeitet worden. Beispielsweise ist in dem 2010 veröffentlichten Film "Ruhen in der Zeit" von einem solchen Kriegs-Tagebuch einer Klosterschwester der Abtei Waldsassen die Rede. Sollte es solche Aufzeichnungen dann nicht auch anderswo geben?

Dienstag, 5. August 2014

Seltsame Zahl 18

Der Gründungskonvent von Ichtershausen hatte eine Stärke von 18 Personen. Daran ist nicht zu rütteln, denn diese Zahl ist mit einer Originalurkunde belegbar (ThStA Gotha, Geheimes Archiv QQ lf 2). Schaut man sich diese jedoch an, so steht dort nicht XVIII, sondern X et VIII. Ist diese Schreibweise, die auch einer Laune des Schreibers entspringen könnte, wirklich Zufall? Mit Äbtissin und Propst wären dann also genau 20 Personen nach Ichtershausen gekommen, d.h. 2 x 10, was sich in der Zahlensymbolik (hier des Rabanus Maurus) wie schon bei der Zahl Zehn ebenfalls auf Vollkommenheit deuten lässt: Viginti ad perfectionem operum, quae per charitatem operantur. Decalogus enim per duo perfectionis praecepta duplicatus viginti efficit. (De univ. 18,3, PL 111, 489, zitiert nach Joseph SAUER, Symbolik des Kirchengebäudes, Freiburg im Breisgau 1924, S. 83 mit Anm. 1). Auch die Zahl 16, die beim St. Mariensterner Gründungsakt eine Rolle spielt, kann als Zahl christlicher Vollkommenheit verstanden werden, indem man sie als Summe der paulinischen Aufzählung in 1 Kor 13, 4-8 erkennt (vgl. Sauer, ebd. 83). Denn worin anders als in der Liebe, die Christus vorgelebt hat, besteht die Vollkommenheit eines Christen? Aber auch hier müsste man in die originale Aufzeichnung schauen, ob dort nicht etwa sowas wie 10+6 steht, was man dann auch wieder anders verstehen könnte. 
Zurück zu Ichtershausen. Gesetzt den Fall, der bischöfliche Verfasser der Urkunde hat die Schreibweise X et VIII bewusst gewählt - was hätte er damit zum Ausdruck bringen wollen? 
Spontan fällt mir dazu die Unterscheidung von Chor- und Laienschwestern ein, wobei unter den letzteren dann wohl nicht nur einfache Konversschwestern niedrigen Standes zu verstehen sind, wenn sie eine solche Erwähnung finden. Hinter den acht Frauen könnten sich z.B. einerseits solche befinden, die noch keine Profess abgelegt haben, aber andererseits auch solche, die - von höherem Stand - im Kloster wohnen und dienen, ohne vollkommen in den vor allem klausurierten Tagesablauf eingebunden zu sein. Als hochgeborene Konversin hatte man im Konvent zwar weniger Mitbestimmungsrechte als eine Chorschwester, doch auch möglicherweise die Freiheit, seine Außenkontakte intensiver zu pflegen, die einem Kloster wiederum nützlich sein konnten. In diesem Bereich gibt es in meinen Augen noch viele Fragestellungen für die Frauenklosterforschung.

Krumme Zahlen

Wenn man sich über eine Klostergründung bei den frühen Zisterziensern informiert, liest man oft, dass - in Analogie zu Jesus und den 12 Aposteln - ein Abt mit zwölf Mönchen als Gründungskonvent ausgesandt wurde. Dies war auch bei den Benediktinern gängige Praxis. Ergibt sich diese Zahl doch schon aus der Regel, in der gerade im Abtskapitel deutlich auf Christus und seine Jünger angespielt wird.[1] Andere Ordensgemeinschaften (z.B. die Kartäuser) haben auf dieses Leitungsamt verzichtet, gerade die damals neueren sehr regelbetont lebenden benediktinischen und zisterziensischen Gemeinschaften nicht. Lieber wurden die Dekanien abgeschafft, als die Abtswürde preis zu geben. Wie – so möchte ich fragen – war das Verständnis dieser Leitungsfunktion bei den Ordensfrauen? Und daraus abgeleitet: wieviel Nonnen gehörten zu einem Gründungskonvent?

Wollte man hierbei aus dem Regeltext argumentieren, so hatten die meisten neu entstehenden benediktinischen Frauengemeinschaften der Reformbewegung des 11. und 12. Jahrhunderts weder eine solche Hierarchie noch ein eigenes Kloster. Auch ihnen war ein Abt vorgesetzt. Dass eine Frau die von Benedikt in seiner Regel beschriebene Rolle Christi im Kloster einnehmen konnte, ja, ob die Regel überhaupt von Frauen so gelebt werden könne, wurde von den Zeitgenossen damals heftig diskutiert.[2] Für einen klausurierten Konvent war dann schon eher das Amt einer Magistra passend, der ein Prior claustralis vorgesetzt war. Unter diesen Voraussetzungen und eingedenk der mittelalterlichen Zahlensymbolik, kommt dann evtl. doch die Form der Dekanie hinsichtlich der initialen Zahl zum Zug, denn mit den beiden Leitungsämtern, ohne die sich ein klausurierter Frauenkonvent nicht vorstellen lässt, kommt man auf genau die gleiche „Jüngerzahl“ 12, wie sie bei den Neugründungen der Männerklöster üblich war. Dies für die weiblichen Abteien weitergedacht, die in der Leitungsebene durch eine ähnliche Doppelspitze repräsentiert waren, müsste man auf genau zehn Schwestern kommen, die mit ihrer Äbtissin und dem Propst ein neues Kloster besiedelten und als jeweiliges Haupt den zuständigen Abt eines Nachbarklosters bei den exemten und den Bischof bei den nicht exemten Klöstern hätten, doch unterliegen die beurkundeten Zahlen dann doch nicht immer solcher Systematik.

Dass die Zahl Zehn wie auch die Zwölf voller christlicher Symbolik steckt, dass sie (die Zehn) in der Gedankenwelt des Mittelalters die Zahl der christlichen Vollkommenheit darstellte[3], dürfte bei Gründungen, die mit zehn Ordensfrauen beschrieben wurden, nicht ohne Hinblick auf diesen Symbolgehalt erfolgt sein.[4] Dass aber vielfach – je nach Ansehen, Anspruch und Macht von Stiftern oder auch dem Selbstverständnis einer starken Mutterabtei – die Analogie zu den Männerklöstern bei der Zahl der gründenden Schwestern (z.B. auch im Hinblick auf die konkurrierende Macht der weiblichen Reichsstifte) bewusst beansprucht wurde, ist nur zu menschlich. Doch weichen die wenigen genannten Zahlen insgesamt erheblich voneinander ab, denn es gab Konventsgründungen mit 7[5], 12[6], 14[7], 16[8] und sogar 18[9] Schwestern. Warum das? Steckt ein Gedanke dahinter, war es am Ende doch völlig egal oder sind die Überlieferung sowie neuzeitliches Wunschdenken schuld? Für die Zahl Zwölf könnte man vielleicht hie und da auch eine manchmal idealisierte Zahlenkorrektur annehmen. Die Aussendung von 13 Schwestern kann als Variante dieser idealen Zahl 12 vor der Äbtissinnenwahl angesehen werden. Doch wie lassen sich solch krumme zahlenmäßige Überlieferungen wie 14, 16 und 18 erklären?



[1] RB 2,2; 2,5.6.11.12.13.
[2] Vgl. u.a. die Sichtweisen der Äbtissin Heliosa und des Idung von Prüfening in: Gisela MUSCHIOL, Klausurkonzepte – Mönche und Nonnen im 12. Jahrhundert, (Habilitationsschrift Münster 1999) 168-178, 269f, 274.
[3] Vgl. hierzu die Ausführungen zur mittelalterlichen Zahlensymbolik resultierend aus den exegetischen Werken großer Theologen in: Joseph SAUER, Symbolik des Kirchengebäudes, (Freiburg im Breisgau 1924) 61- 87, hier bes. 80.
[4] Eine solche Gründungszahl ist für Teistungenburg um 1260 belegt: …unanimi consensus personas decem…, in: Alois SCHMIDT (Bearb.): Urkundenbuch des Eichsfeldes Teil 1(Magdeburg 1933, Nachdruck Duderstadt 1997)  Nr. 414, nachfolgend EUB genannt.
[5] Die Gründungsgemeinschaft des Klosters Helfta wurde 1229 mit nur sieben Nonnen, die von Halberstadt kamen, angegeben, welche zunächst bei der Burg Mansfeld ihre erste Bleibe hatten. Wahrscheinlich handelte es sich bei dieser Konventsgröße zunächst wohl nicht um eine Abtei. Gerlinde SCHLENKER, Helfta, in: Gerhard SCHLEGEL (Hg.) Repertorium der Zisterzen in den Ländern Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen, (Langwaden 1998) 288.
[6] Beispielsweise ist das für Egeln beschrieben: Franz SCHRADER, Egeln, in: Repertorium, 214. Auch das Neuwerkskloster bei Goslar erhielt einen Gründungskonvent bestehend aus Äbtissin und 12 Schwestern: ...abbatissa, quam cum conventu duodecim dominarum..., Otto DOBENECKER (Bearb., Hg.) Regesta diplomatica necnon epistolaria historiae Thuringiae (Jena 1900, Nachdruck Vaduz 2010) Bd. 2, Nr. 769; für Jüterbog ist von 13 Nonnen aus einem Magdeburger Kloster die Rede, Felix ESCHER; Jüterbog, in: Repertorium, 303; 13 Nonnen waren 1238 auch die ursprüngliche Konventsstärke für Kloster Altendorf in Nordhausen, Peter KUHLBRODT, Nordhausen – Altendorfer Kloster, in: Repertorium, 396.
[7] EUB Nr. 633, Urkunde von 1287 für Marksußra. Hier war die ursprüngliche Gründung lt. Urkunde EUB Nr. 531 von 1272 von Anrode aus vorgesehen, doch erfolgte diese dann mit 10 Schwestern wahrscheinlich von Beuren (de Brum?) aus, Anrode gab seinerseits 4 Schwestern dazu. Dies könnte etwas mit getroffenen Vereinbarungen zutun haben, die durchaus auch in der Person und Herkunft der vier Anröder Schwestern liegen können. Der eigentliche Gründungskonvent war hier wohl der mit den zehn Schwestern. Beide Dokumente haben keine verfügbaren Originale mehr.
[8] St. Marienstern hatte einen Gründungskonvent aus 16 Schwestern. Matthias KNOBLOCH, Panschwitz-Kuckau / St. Marienstern, in: Repertorium, 413.
[9] Bischöfliche Gründungsurkunde für Ichtershausen, Orig. ThStA Gotha, Geheimes Archiv, QQ lf 2.