Sonntag, 30. März 2014

Gastfreundschaft und Chorgebet


Vielen Klosterbesuchern ist es ein besonders beeindruckendes Erlebnis, dem Chorgebet zu lauschen. Die Bedürfnisse der Gäste sind dabei sicher ganz unterschiedlich und reichen vom schlichten Interesse an fremdartig anmutenden Bräuchen vergangener Jahrhunderte über den Wunsch nach kulturellem Genuss bis hin zur aktiven persönlichen Mitfeier der Horen. Für diejenigen, die dieses Gebet täglich vollziehen, ist all dies primär von untergeordneter Bedeutung oder sollte es zumindest sein, denn es ist in erster Linie eine gemeinschaftlich gesungene Form der Gottesverehrung. So sollte die Anwesenheit bestimmter zuhörender Personen, egal ob musikalisch begabt oder von hohem Rang, die Qualität des Gesanges nicht wesentlich ändern, denn dies bedeutete ja, dass nicht mehr Gott der wirkliche Adressat dieses Chorgebetes ist. Dennoch wird ein ganz auf Gott ausgerichtetes Singen eine Wirkung haben, die auch die Zuhörer beschenkt und aus Kulturgenuss vielleicht auch eine Gotteserfahrung macht, denn es ist der Spiegel auch sonstigen Miteinanders im Alltag, der von einer gegenseitigen Achtsamkeit geprägt sein sollte. Ein perfekt gesungenes Chorgebet kann daher auf den Zuhörer kälter und steriler wirken, als eines, in dem vorkommende Fehler durch das spürbare Engagement aller aufgefangen und mitgetragen werden. Ein Gebet jedoch, dem anzumerken wäre, dass es sich hierbei um die Ableistung einer notwendigen Pflicht handelt, wird vom Zuhörer mit seismographischer Genauigkeit registriert und spricht natürlich auch wenig an.

Gerhoch von Reichersberg, ein Regularkanoniker des 12. Jahrhunderts, hat in einem Widmungsschreiben an ein unbekanntes Frauenkloster den folgenden Text verfasst[1], der seine Erfahrung von Gastfreundschaft und Chorgebet in einem Frauenkloster wiedergibt: 

Bruder Gerhoh, Propst von Reichersberg, den Schwestern in Christo, die wachen und die Ankunft des Bräutigams erwarten. O in Christus geliebte Schwestern, die Ihr, das Chorgebet über andere Dinge achtsam erhebend, tüchtige Eiferinnen seid, für mich bereitstehend, sei es gelegen oder ungelegen, um dem geschätzten Mann bald den angemessenen Wein zum Trinken und mit den Lippen und Zähnen zu verkosten, bald vom Mehl der täglichen Psalmodie das tägliche Brot zum Verzehren hervorzuholen, bin ich von Euch herausgefordert, nicht so sehr vom Werk der Stärke tüchtiger Frauen, sondern von der Milch und dem Honig, die unter Eurer Zunge verborgen, zwischen den Gesängen hervorströmen, die - gleich süßem Honig - alles überragende Gottesliebe und die wie Milch überfließende Nächstenliebe. 

Das Schreiben ist im Poznan – Kodex (Rkp. 173) überliefert, einer Handschrift des 13. Jahrhunderts, die mit hoher Wahrscheinlichkeit aus der Abtei Ebrach stammt[2], sodass an eine überlieferte Sammlung von Texten aus den benachbarten Frauenzisterzen (Wechterswinkel oder St. Theodor in Bamberg) gedacht werden könnte, ohne dass dies schon ganz bewiesen wäre.[3] Zudem geht dieser Text der schon genannten Mirakelsammlung des Engelhard von Langheim in der Sammelhandschrift voraus, so dass auch eine zeitlich frühere Entstehung möglich wäre.[4] 

Ein schöneres Kompliment und Zeugnis eines vorbildlichen monastischen Lebens in einem Frauenkonvent des 12. Jahrhunderts wird man wohl nicht finden. Für das Chorgebet ist es die gelungene Umsetzung der Weisung Benedikts in RB 19,7.

[1] Original: Poznan – Kodex, Rkp. 173, fol 27v-30r, transkribierter Text hier nach Otto KURTH, Ein Brief Gerhohs von Reichersberg. Neues Archiv der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde 19 (1894) 462-467464 – 467, hier 464. Online unter: http://www.digizeitschriften.de/dms/img/?PPN=PPN345858530_0019&DMDID=dmdlog40. 
[2] Vgl. Hans D. OPPEL, Die exemplarischen Mirakel des Engelhard von Langheim. Untersuchungen und kommentierte Textausgabe, (Dissertation Würzburg, 1978) 33-35. 
[3] Vgl. OPPEL, ebd. 35. 
[4] Zur zeitlichen Einordnung einer Entstehung um 1160 äußert sich u.a. Peter CLASSEN, Gerhoch von Reichersberg. Eine Biographie. Mit einem Anhang über die Quellen, ihre handschriftliche Überlieferung und ihre Chronologie, (Wiesbaden 1960) 366-376, Seitenangabe nach OPPEL.

Freitag, 28. März 2014

Motivation


Die deutsche Übersetzung des Widmungsschreibens des Engelhard von Langheim an die Äbtissin und die Nonnen von Wechterswinkel nach der Transkription von Hans Detlef Oppel[1]:


1 Der ehrwürdigen und in Christus geliebten Herrin und Mutter M., Äbtissin zu Wechterswinchel, und dem geweihten und von Gott geliebten Konvent ihrer Töchter, Engelhard, ihnen selbst zu beidem als Diener und Sohn Verpflichteter, aber mehr noch als Sohn. 2 Dank schulde ich für die Gnadenerweise, ich wünschte, (davon) abzutragen, wenn es gegeben würde, es auch zu können. 3 Großes verdientet Ihr, doch ich bin nur klein; woher sollte ich es haben? 4 Es tröstet mich allein dies, dass die Güte Euch Gewohnheit ist, dass Ihr nicht unter denen seid, die Mildtätigkeit nach Gewinn bewerten; die Frömmigkeit erstrebend, erachtet Ihr Gewinn und Ehre für nichts. 5 Denn es genügt Euch vom Freund die Treue der Freundschaft, die - wie die Weisen sagen - wenn sie echt ist, sowohl beim Reichen als auch beim Armen gleich ist, und in beiden wirkt, was sie kann. 6 Siehe meine Herrin, vieles ist mir an Wohltaten von Euch zuteil geworden, Euch aber von meinem Dienst nichts. 7 Ich bin nicht undankbar; wenngleich ich gestehe, ganz und gar unwürdig zu sein, will ich mich wenigstens entschließen, würdig zu werden, wenn auch nicht dadurch, dass ich handle, so doch wenigstens, dass ich mich bemühe. 8 Wie also könnte ich all das vergelten, meine Herrin, was mir zuteil wurde? 9 Was ihren heiligsten Töchtern für die Güte der einzigartigen Gnade? 10 Geschenke oder würdige Werke passen nicht zu mir, doch die Früchte meiner Muße gebe ich Euch, nicht Unnötiges, wie ich hoffe, wenn ich Eurer Frömmigkeit durch sie gefallen werde. 11 Eine edle Sache hört Ihr gern, am meisten, was aufbaut und was die Wahrheit durch die Verbürgtheit des Erzählten weitergibt. 12 Ich habe ein Werk dieser Art gegeben, um Euch zu dienen, aufzuschreiben, was ich gehört habe und was anzuhören dem Glauben nützlich sei und dem intensiven (geistlichen) Fortschritt helfe. 13 Lob suche ich nicht, noch sorge ich mich um Verleumdung; Euch erweise ich dadurch Zuneigung; wenn ich nur die Herzen der Lesenden aufbaue oder sicher erfreue. 14 Soweit wir sie gehört und erfahren und unsere Patres uns berichtet haben, würde ein schwaches Gedächtnis Übles tilgen, das Unrecht aber nur, wenn durch die Feder verwundet wurde und nicht zurücknehmbar ist. 15 Ich werde allein mit dem Zeugnis meines Herzens unterzeichnen, nicht weissagend, und ich möge nicht dahinein verfallen, dass ich kundtue, was in falscher Weise so erwünscht wird. 16 Nichts schreibe ich daher, was ich gelesen oder kopiert habe, sondern etwas, was ich zu sehen, am meisten, was ich zu hören bekommen habe. 17 Ich hoffe dennoch, dass es sehr viele Schriften sein mögen, die, wenn sie uns auch verborgen sein mögen, denn Vergehen würden uns verborgen sein, besonders in ihrer Gegend und Umgebung aufbauten. 18 Wenn sie (ihnen) also jetzt in die Hände gelangen, mögen sie uns nicht verurteilen; wenn sie ihnen verlesen werden, sei beides zuverlässig. 19 Wenn ich ihnen aber die Hand nicht versage, mit der sie voller Erkenntnis gestärkt werden, so bewahre dennoch Gott die Ehre seiner Werke und mir die Nachsicht meiner Handlung.



[1] Hans D. OPPEL, Die exemplarischen Mirakel des Engelhard von Langheim. Untersuchungen und kommentierte Textausgabe, (Dissertation, Würzburg 1976) Textedition 148 – 208.
Eigene Übersetzung unter Mithilfe einer weiteren Person, die ebenso anonym bleibt. Wer es besser kann, sei ausdrücklich und herzlich dazu eingeladen.

Samstag, 15. März 2014

Wandernde Klosterschriften

Nein, es geht mir hier nicht um den Transfer im Sinne eines Austauschs von Handschriften unter verschiedenen Klöstern, sondern um deren Verbleib über die jeweiligen Zwischenstationen bis heute. Nachdem im Blog Archivalia heute über die Entdeckung einer Medinger Handschrift informiert wird


kam mir der Gedanke, dass viel zu wenig darüber nachgedacht und vielleicht auch viel zu wenig nach Anhaltspunkten gesucht wird, welche Wege die Handschriften von denjenigen Frauenklöstern genommen haben könnten, die bereits im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit aufgelöst wurden. Ich denke da beispielsweise an die im Vergleich nur recht kurz bestehenden Klosterorte Kürnach, Neuhausen, Falkenhagen-Lilienthal, Frauenkron oder Rheintal, deren eventuell heute noch existierende Restbestände an Handschriften hinsichtlich der verstrichenen Zeit viel mehr Nachbesitzer aufweisen könnten. Oder wohin, d.h. auf welchen Wegen, verstreute sich das Gut der vielen nach dem Bauernkrieg und der Reformation aufgehobenen Klöster, das zunächst den jeweiligen Fürsten- und Grafenhäusern zufiel? Eine unsinnige Frage, weil einerseits zu banal, da oberflächlich schon irgendwie bekannt oder andererseits, weil der zu einer gezielten Erforschung von Verbreitungswegen im regionalen Kontext erforderliche Arbeitsaufwand zu hoch wäre, um nur Weniges zu finden? 

Gerade in einer Zeit wie dem ausgehenden 16. Jahrhundert, in der ein hohes Interesse an wertvollem klösterlichem Buchbestand vorhanden war, wäre es sicher spannend, die Stationen mittelalterlicher Bücher aus den Klöstern nachzuvollziehen. Natürlich ist es einfacher, dies an den besser erforschten Bibliotheken der Männerklöster abzulesen und dies analog auf die Frauenklöster zu übertragen. 

Diesbezüglich ist vielleicht auch nicht uninteressant - soweit es noch nachzuverfolgen wäre - wieviel der Buchbestände aufgelöster Frauenklöster des 16. Jahrhunderts sich am Beginn des 19. Jahrhunderts in den Bibliotheken der ehemals zuständigen Männerklöster und in den Bibliotheken anderer Gemeinschaften wiederfand. Der umgekehrte Fall dürfte sicher seltener sein!

Warum beispielsweise und durch wessen Hände gelangte ein 14 Blätter umfassendes Pergament-Manuskript eines Kopialbuches (Copiae Confirmationis Monasterii Wechterswinkel) des 16. Jahrhunderts im Folioformat aus dem unterfränkischen Kloster Wechterswinkel in eine Sammelhandschrift im Bibliotheksbestand der Cornell-University von Ithaca NY, wo es lt. Eingangsstempel seit 1891 unter der (alten) Signatur Mss B61 aufbewahrt wird - heute: Frederick, Holy Roman Emperor (OCLC- Nr. 70797901)?
Natürlich ist es spannend, Archive und Kataloge nach solchen Schriften durchzuforsten. Doch auch mit dem anderen Weg könnte man Entdeckungen machen, nämlich indem man vielleicht durch irgendwelche Zusammenhänge auf Bestände stösst, in denen niemand je nach solchem Material suchen würde.

Sonntag, 9. März 2014

Entdeckung

Die Badische Zeitung hat in der gedruckten Ausgabe vom 25. Februar 2014 einen Bericht von Dorothee Philipp mit folgender Überschrift veröffentlicht:

Müllheim: Klostermauern im Boden aufgespürt. Kloster Rheintal offenbar bedeutender als bisher angenommen. 

Darin wird über die Entdeckung von Mauern auf dem Gelände des ehemaligen Frauenklosters Rheintal informiert und auf die geplante Publikation der vorgenommenen Vermessung in der Zeitschrift Das Markgräflerland hingewiesen. 
Das ehemalige Zisterzienserinnenkloster Rheintal wurde 1255 als Priorat von Klein-Lützel gegründet und bestand in dieser Form bis 1486. Zur Geschichte dieses Frauenklosters hat zuletzt Adolf Dietrich im Band 52 (1940) der Cistercienser Chronik einen kleinen, vierseitigen Beitrag verfasst. Ältere Beiträge, nur wenig umfangreicher, finden sich in den Bänden 39 und 40 der Zeitschrift Alemannia. Autoren waren hier Josef Rest und Hermann Mölbert.

Donnerstag, 6. März 2014

"Tue an mir ein Zeichen zum Guten"

Dieser Vers aus Psalm 86 hat Geschichte geschrieben. Sind es doch die Worte, die, am 06. März 1198, einem Freitag, im Zisterzienserinnenkloster Ichtershausen vernommen, Herzog Philipp von Schwaben dazu bewogen haben, seine Wahl zum deutschen König anzunehmen. "Tue an mir ein Zeichen zum Guten" - im gegebenen Kontext bekommt dieser Satz, der 8 Jahre später rückblickend dem Papst geschildert wurde, die ganz persönliche Note einer gelebten und erfahrenen Gottesbeziehung, welche dazu ermutigte, eine Entscheidung zu treffen und zu leben, begleitet von betenden Menschen und umgeben von einem Raum, der dazu angetan war, den Menschen Philipp in seiner Befindlichkeit für eben diese Dimension des Daseins zu öffnen. Dies ist die passive Komponente, in der Klöster Geschichte schreiben oder durch ihre schweigende, Gott zugewandte, Präsenz den Gang der Geschichte beeinflusst haben und sicher auch heute beeinflussen können.