Dienstag, 23. September 2014

Ausbildung und Erziehung bei den Zisterzienserinnen


In den Statuten, die vier Zisterzienseräbte Ende der 20er Jahre des 12. Jahrhunderts für das Kloster Jully ausgearbeitet hatten, war das Eintrittsalter auf 15 Jahre gesetzt worden.1 Aus Nachrichten über eintretende oder eingetretene Frauen im Kontext der ersten zisterziensischen Frauenklöster, lässt sich zumindest schließen, dass die erwachsenen Frauen, d.h. Ehefrauen, Mütter, Geschwister von Mönchen oder verwitwete Frauen, zunächst in größerer Zahl an dieser Entwicklung Anteil nahmen.2 Was diese Frauen an Bildung und Fähigkeiten besaßen, brachten sie damit zwangsläufig mit. War eine Ausbildung jenseits einer Einführung in klösterliche Gebräuche dann überhaupt notwendig? Es scheint, als hätte es anfangs hinsichtlich der Altersfrage ähnliche Einstellungen in zisterziensischen Männer- wie in Frauenklöstern gegeben. So es sich also nicht bloß um eine Überlieferungslücke handelt, kann man sagen, dass Nachrichten über Dotationen, welche im Zusammenhang mit dem Eintritt Minderjähriger stehen könnten, aus der Anfangszeit kaum zu finden sind. Beispielhaft seien hier einige der frühen Klöster angeführt: Tart: Die erste Äbtissin, Elisabeth de Vergy, kam mit ihren Schwestern - eine Priorin Maria ist noch namentlich genannt - aus dem Kloster Jully.3 Die Anfänge waren offenbar bescheiden, wie das Gründungsdokument und die recht späte Kirchweihe annehmen lassen.4 Schon 1147 erhält das Kloster die begehrte Exemtion, da es den Lebensunterhalt mit eigener Hände Arbeit verdient. Die ehemalige Herzogin von Lothringen, Adelheid, Mutter des amtierenden Herzogs, fand zwischen 1139 und 1142 Aufnahme dort.5 Sonst lässt sich niemand identifizieren. Montreuil: Aus der überlieferten Lobrede des Hermann von Tournai über dieses Kloster6, in dem die Frauen sogar Rodungstätigkeiten selbst unternahmen, kann man indirekt schließen, dass dies primär kein Ort für Kindererziehung war. Auch für die ersten deutschen Klöster scheint dies zuzutreffen. Da der Lebensunterhalt mit eigener Handarbeit zu erbringen war und die Anfänge ärmlich, konnte auch wenig Interesse bestehen, Kinder in diese Gemeinschaften aufzunehmen: Wechterswinkel: Aus dem 12. Jahrhundert überlieferte Eintritte benennen eine matrona namens Gepa von Brenten7, sodann die Witwe des Grafen Hermann von Stahleck8, danach noch eine zusammenfassende Urkunde von 1179, die den Eintritt zweier Mitglieder einer Familie im Zusammenhang mit einer Schenkung nennen9. In den ersten zwanzig Jahren des Bestehens sind es also auch hier vorwiegend Erwachsene, die diesen Weg beschreiten. Die spärliche Überlieferung von Königsbruck nennt in der Anfangszeit auch nur erwachsene Frauen.10

Schauen wir ein Jahrhundert weiter, so hat sich das Bild offenbar total gewandelt. Wir wissen, dass – um nur einige zu nennen - die berühmte Nonne Mechtild von Hackeborn mit 7 Jahren ins Kloster kam.11 Gertrud die Große von Helfta war sogar schon mit fünf Jahren aufgenommen worden.12 Auch Hiltgart von Hürnheim kam anscheinend mit sieben Jahren in das Heiligkreuzkloster Zimmern.13 Im 13. Jahrhundert scheint dieses Aufnahmealter offenbar der Normalzustand gewesen zu sein.14 Da diese hier genannten Frauen allesamt hochgebildet waren und bedeutsame Werke hinterließen, kann es als sicher gelten, dass es die Klöster waren, denen diese Frauen ihre Ausbildung verdankten. Damit erhebt sich die Frage, ab wann man dazu überging, in größerem Stil erzieherisch tätig zu werden und welche Überlegungen und evtl. auch Zwänge dazu führten. Die genannten Frauen verfügten immerhin über reiche Kenntnisse in lateinischer Sprache, beherrschten die Grammatik, hatten eine musikalische Ausbildung und waren darüber hinaus belesen, was die Heilige Schrift und auch das theologische Wissen ihrer Zeit anging.15

Man könnte sich nun weiter fragen, ob es eher soziologische oder primär wirtschaftliche Gründe waren, die einer Aufnahme von Kindern den Weg bahnten, aber auch, in welcher Weise die kirchlichen Forderungen nach strenger Klausur die Ausrichtung der Tätigkeitsfelder beeinflusste und die Attraktivität der Frauenklöster dadurch sogar steigerte. Die zahlreichen Eintritte und die vielen Neugründungen der zisterziensischen Nonnenklöster im 13. Jahrhundert könnten jedenfalls auch etwas damit zu tun haben, dass sich mit dem Eintrittsalter auch das angestrebte Bildungsniveau verändert hatte.
 
1 Item quod nulla infra quindecim annos recipiatur. Jean LECLERCQ, Études sur Saint Bernard et le texte de ses écrits. ASOC 9 (1953) 13f, hier 14. Nach dem Manuscript 594 von Troyes (Clairvaux Q13).

2 Das trifft bereits für das zunächst benediktinische Jully zu, das hier aber nicht weiter betrachtet werden soll.

3 Aus der Fülle der hierzu vorhandenen Literatur sei hier exemplarisch ein sehr lesenswerter älterer Beitrag genannt: Jean de la Croix BOUTON, L'établissement des moniales cisterciennes, MSHDB 15 (1953) 83 – 116.

4 Gemeint ist die Pankarte von 1132, die nebst aktueller herzoglicher Spende noch drei frühere Schenkungen bestätigt: 78 H 1042 /1, Archives départementales de la Côte - d ' Or.

5 Jean LECLERCQ, La femme et les femmes dans l'oeuvre de Saint Bernard (Paris 1983) 32.

6 Miracula S. Mariae Laudunensis, PL 156, Paris 1853, Sp. 1001f.; Hildegard BREM / Alberich M. ALTERMATT, Neuerung und Erneuerung. Wichtige Quellentexte aus der Geschichte des Zisterzienserordens vom 12. bis 17. Jahrhundert (Quellen und Studien zur Zisterzienserliteratur 6, Langwaden 2003) 74.

7 StA Wü Historischer Verein, Urkunden 1143.

8 Deren Eintritt in Wechterswinkel ist durch ihren Briefwechsel mit Hildegard von Bingen belegt: Hildegardis Bingensis Epistolarium, 2 Bde, hg. Von L. VAN ACKER (Turnholt 1993) hier Bd. II 508f, Briefe 232 und 233.

9 StA Wü WU 7055. Der hier bestätigte Sachverhalt lässt sich anhand der im Urkundentext genannten früheren Zeugen vor 1162 datieren, denn der genannte Eggehardus de Herbesuelt bezeugt letztmalig 1161 eine Urkunde. Damit hat sich der erste der beiden beschriebenen Eintritte etwa zu Beginn der 50er Jahre ereignet. Über das Alter der beiden Töchter ist allerdings nichts zu erfahren.

10 René BORNERT, Les Monastères d'Alsace. Bd. 5. Abbayes et Monastères de Cisterciens et de Cisterciennes. Des origines à la Révolution française, (Strasbourg 2011) 446: collectio dominarum.

11 Mechthild von HACKEBORN, Das Buch der besonderen Gnade, (Quellen der Spiritualität) übers., eingeleitet und bearb. von Klemens SCHMIDT, (Münsterschwarzach 2010).

12 Gertrud von HELFTA, Exercitia spiritualia. Geistliche Übungen. Lateinisch und deutsch, hg. Und kommentiert von Siegfried RINGLER (Elberfeld 2001) 13.

13 Das mutmaßliche Eintrittsalter hier ist rekonstruiert anhand einer größeren Schenkung ihres Vaters und einem Verweis auf ihr jugendliches Alter im Vorwort ihres Übersetzungswerkes. Reinhold MÖLLER (Hg.), Hiltgart von Hürnheim. Mittelhochdeutsche Prosaübersetzung des „Secretum Secretorum“, (Deutsche Texte des Mittelalters 56, Berlin 1963) Einleitung LXIV.

14 Es sei an dieser Stelle aber darauf hingewiesen, dass es sich jenseits dieser belegbaren Beispiele, meines Wissens eher um eine verallgemeinerte Behauptung (hierbei auch die klassischen Benediktinerinnenklöster mit eingeschlossen) als um eindeutiges Wissen handelt, denn das Urkundenmaterial vieler Zisterzienserinnenklöster ist bisher noch gar nicht aufgearbeitet, geschweige denn auf eine solche Fragestellung hin untersucht worden. Einigermaßen sicher kann man vielleicht nur sagen, dass der Eintritt von Kindern bedeutend häufiger gewesen zu sein scheint als im vorangegangenen Jahrhundert.


15 Vgl. hierzu MÖLLER (wie Anm. 13) Einleitung LXV und RINGLER (wie Anm. 12) 26.

Freitag, 19. September 2014

Literaturreviews und Standortbestimmungen

Derzeit hat ein seit 2012 im Netz veröffentlichter, sehr detailreicher Vortrag von Elke Goez ordensseitig neues Interesse gefunden, mag es auch sein, dass er jetzt erst richtig entdeckt und zur Kenntnis genommen wurde. Natürlich beschäftigt er sich primär mit den Zisterziensern (nicht den Zisterzienserinnen) und ihrer Geschichte. Nach wie vor empfohlen werden kann immer noch der Überblick, den Immo Eberl auf der Heiligenkreuzer Tagung EUCist 1 im Jahr 2008 gegeben hat (Immo EBERL, Aktuelle Lücken in der Cistercienserforschung, in: Aktuelle Wege der Cistercienserforschung, EUCist Studien 1, hg. von Alkuin Volker SCHACHENMAYR, (Heiligenkreuz 2008) 31 – 53). Es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass es für die Zisterzienserinnen etwas Aktuelleres gibt, das neben anderen Quellen und einigen neuen Blickwinkeln (z.B. den Einzug von modernen Transportmitteln und neuer Medien in die Klöster und deren Vernetzungsmöglichkeiten) die Ergebnisse dieser beiden Beiträge mit eingearbeitet hat. Dieser Beitrag ist ebenfalls online verfügbar und wurde im März 2014 unter dem Titel: Forschungsstand und -desiderat zu Frauenklöstern in zisterziensischer Tradition auf dem Ordensgeschichte-Blog von Sandra Maria Gelbe veröffentlicht. Darüber hinaus sei darauf hingewiesen, dass im deutschsprachigen Raum meines Wissens Franz Josef Felten derjenige war, der wie kein anderer die Geschichte der Zisterzienserinnen und die klösterliche Verbandsbildung in den letzten Jahrzehnten erforscht hat. Hinzuweisen sei auch noch auf den Sammelband Norm und Realität aus dem Jahre 2009 (Norm und Realität. Kontinuität und Wandel der Zisterzienser im Mittelalter, hgg. von Franz Josef FELTEN und Werner RÖSENER (Vita regularis, Abhandlungen 42, Berlin 2009)). Auf internationaler Ebene ist das 2012 erschienene Cambridge Companion to the Cistercian Order (Mette Birkedal BRUUN / Emilia JAMROZIAK (Hgg.), The Cambridge companion to the Cistercian order. (Cambridge companions to religion, Cambridge, Mass. [u.a.] 2013)) zu empfehlen, das die Zisterzienserinnen deutlich mehr berücksichtigt als das gerade neu erschienene deutsche Lehrbuch Die Zisterzienser aus dem Kohlhammer-Verlag (Jörg OBERSTE, Die Zisterzienser (Kohlhammer-Urban-Taschenbücher 744, Stuttgart 2014).