Sonntag, 30. Juli 2017

Mons-ter-i-ol(e)um oder Montreuil

Monsteriolum - so bezeichnet Hermann von Laon [1]  den Ort, der später Montreuil-les-Dames genannt wurde oder kurz Montreuil.

Liest man das lateinische Wort, so ist man ganz schnell versucht, einen mutmaßlich vergessenen Buchstaben nachzulegen, um auf Monasteriolum - Klösterchen zu kommen. Vielleicht bloß eine Eindeutung? Wurde das eigenartige Wort vielleicht einst genau so benannt? Immerhin ergibt das Lateinische einen Sinn: "Berg / Fels, fließe über von Öl", und ein Bezug zu diesem Sinn steckt irgendwie auch in Montreuil, wenn man von einer Kontraktion ausginge. "Mont / Mon(s)" und "huile" ließen sich auf die Schnelle finden.  Soweit so gut - über derartige Etymologie ist schon im 19. Jahrhundert sinniert worden, meine Idee ist also diesbezüglich nicht wirklich originell.[2] Spannender sind schon die dort aus der Notitia Galliarum des Adrien de Valois von 1675 überlieferten und kommentierten Formen: "Monsteriolum, Monsterolum ac Musterolum et Musterolium corrupta sunt nomina atque truncata, sublata aut altera littera deducta a Monasteriolo et in locum ejus substitua."[3] Die Sache mit dem Öl ist also nicht so ganz frei erfunden. Vielleicht tut ein anderer Zusammenhang gut, um Neues zu sehen...

Die Klostergründung wird allgemein auf 1136 datiert. Den konkreten Quellenbeleg dazu konnte ich allerdings nicht finden. Oft wird ja ohnehin die älteste noch erhaltene Urkunde mit dem Entstehungsdatum gleichgesetzt.

Meine Beobachtung:
Wenn Ordericus Vitalis sagt, dass die Zisterzienser ihren Klöstern "in aufmerksamer Sinngebung heilige Namen" gegeben haben und diese schon dadurch anziehend wirkten [4], gilt das dann etwa nur für die damals neuen Männerklöster? Montreuil lag in unmittelbarer Nachbarschaft von Foigny, welches 1121 unter Beteiligung des Bernhard von Clairvaux gegründet wurde. Was, wenn Montreuil auch ähnlich alt wie Foigny wäre?
Von Bernhard, der die erste Äbtissin des Klosters eingesetzt haben soll [5] und sich um dieses Frauenkloster nachweislich gesorgt hat [6], ist eine ca. 1125 für ein breiteres Publikum überarbeitete Predigt "Missus est Gabriel" überliefert, in der er sich zum Thema göttlicher Inspiration im Evangelistenwort äußert. Darin schreibt er: "...soll ich glauben, daß aus dem Mund des Evangelisten ein überflüssiges Wort in nichts schwindet, insbesondere in der heiligen Geschichte des göttlichen Wortes? Ist doch alles voll von Geheimnissen von oben, jedes einzelne Wort fließt über von himmlischer Süße; es muß nur jemanden finden, der es sorgsam betrachtet, der Honig aus dem Felsen und Öl aus härtestem Gestein zu saugen weiß. Gewiß, an jenem Tage träufelten die Berge Süßigkeit..."[7] Da gibt es also einen Berg oder Felsen und auch Öl (neben Milch und Honig). Und gerade in dieser Predigt geht es um Namensdeutungen.
Dann wäre der mittlere Teil der späteren Bezeichnung "Montreuil" als "tre" mit "traire" nicht so ganz ungeschickt getroffen.

Sollte diese Predigt vielleicht ursprünglich an eine weibliche Hörerschaft zu einem konkreten Gründungsanlass gerichtet gewesen sein? Oder spielt einfach nur der Name des Klosters auf diese Predigt und das dort dargelegte Programm an? Da dieses Werk damals sehr populär war und es noch 78 Handschriften aus dem 12. und 13. Jahrhundert mit dieser Schrift gibt [8], wäre es vielleicht auch spannend, diese Handschriften auf Schreibvarianten durchzusehen, die evtl. von der ursprünglichen Version abstammen. Wie auch immer das Kloster entstand - textlich könnte man eine Parallele zwischen dem Klosternamen und dieser Predigt ziehen.

[1] HERMANNUS MONACHUS, De miraculis S. Mariae Laudunensis. PL 156, 551.
[2]  Société des antiquaires de Picardie, Mémoires de la Société des antiquaires de Picardie. (Bd. 4, Amiens 1841) 273f; URI: https://books.google.de/books?id=Il9IAAAAYAAJ&pg=PA273&lpg=PA273&dq=Monsteriolum&source=bl&ots=5tl3cPuanu&sig=oTRi_DbeBZqFbV36-_1Dq5J73mw&hl=de&sa=X&ved=0ahUKEwj52q-0lK_VAhWNUlAKHROODhEQ6AEIODAC#v=onepage&q=Monsteriolum&f=false (abgerufen am 29.07.2017).
[3] Ebd. S.274.
[4] Hildegard BREM / Alberich M. ALTERMATT [Hgg.], Neuerung und Erneuerung. Wichtige Quellentexte aus der Geschichte des Zisterzienserordens vom 12. bis 17. Jahrhundert lateinisch-deutsch. (Quellen und Studien zur Zisterzienserliteratur VI, Langwaden 2003) 171. 
[5] Jean LECLERCQ, Études sur Saint Bernard et le texte de ses écrits. In: ASOC 9 (1953) 192, Anm. 2.
[6]Jean LECLERCQ, Lettres d'Odon d'Ourscamp, cardinal cistercien. In: StAns 37 (1955) 145-157, hier 149; Ders.: Études (wie Anm. 5) 193.
[7] Gerhard B. WINKLER [Hg.], Bernhard von Clairvaux. Sämtliche Werke, lateinisch / deutsch, Bd. IV, Innsbruck 1993) 35. 
[8] WINKLER, Bernhard von Clairvaux (wie Anm. 7) 28, Anm. 5.