Samstag, 24. Dezember 2016

Das Schwache in der Welt hat Gott erwählt... (1Kor 1,27)

Ohnmächtiger Beginn, doch wenn man zurückblickt, so hat das, was damals in Bethlehem begann, trotz aller Niederlagen, aller Verfolgungen, trotz so mancher institutioneller Fehlentwicklungen, aller Spaltungen durch die Jahrhunderte eine faszinierende Lebenskraft bewahrt.
Monastische Einrichtungen, ob nun Klause oder Kloster, waren von Anfang an Teil dieser Welt, und sie waren mal stark und mal schwach in fast regelmäßigem Auf und Ab. Man liest von zahlenmäßig starken Frauenkonventen im 13. Jahrhundert wie von stark zusammengeschrumpften Gemeinschaften mit sieben bis zwei Mitgliedern um die Mitte des 16. Jahrhunderts, dann wieder ein Anwachsen der Zahl in den katholisch gebliebenen Landstrichen. In den beiden folgenden Jahrhunderten gab es wieder mehr Schwestern, ab der Säkularisation wieder Schrumpfung, danach einen Zuwachs. Ende des 19. Jahrhunderts entstand ein Wachstum in den Gemeinschaften, nach dem ersten und zweiten Weltkrieg Wachstum, nach dem Konzil Reduktion, seither deutlich kleinere Konvente und vielerorts auch Aussterben, an anderen Orten Neubeginn. 
Also ganz wie in der Natur wachsen, sterben, neu beginnen. Dabei scheint mir, dass gerade der Blick auf das Neue, nicht Festgelegte, noch Werden-wollende einen gewissen Zauber hat. Dort, wo Leben aufkeimt, schwingt Charisma mit, ist Improvisation gefragt. Und manchmal fragt man sich auch selbst, wie kann dies oder jenes nur gehen?
Klöster möchten Orte sein, in denen Gott wohnt. Jedes Mitglied einer Klostergemeinschaft sollte ein Stein in diesem Bau Gottes sein, in dem der Herr wohnt (vgl. 1Kor 3, 9). Betrachtet man nun diese "Steine" und ihre Eignung für den Bau, d.h. die jeweiligen Fähigkeiten und Begabungen und das, was bei deren Gebrauch so entstehen kann, so muss man oftmals ganz ehrlich zugeben, dass sowohl die Konstruktion des Bauwerks als auch die Verbindung der "Steine" in nicht unbedeutendem Maß Sache Gottes sind. In mancherlei Hinsicht ist es gerade das gemeinsame Wirken der einen mit der anderen, also ein Ganzes aus gegenseitigem Ergänzen, das ein Bestehen fast wunderlicher Art ermöglicht. Dass etwas geht, was unter gegebenen Bedingungen unmöglich scheint - das ist die Kraft der erwählten Schwäche. Treffender kann man vieles nicht in Worte fassen. Wer außer Gott könnte schon dem wirklich Schwachen solchen Bestand verleihen, dass ein echter Tempel Gottes daraus wird? (vgl. 1Kor 3,16). In diesem Sinne gesegnete Weihnachten. Auch Terror und Bedrohungen können die frohmachende Botschaft nicht auslöschen, die wir nun wieder feiern.

Donnerstag, 22. Dezember 2016

Maria durch ein Dornwald ging

Woher kommt dieses Lied? Man sagt, es sei aus dem Eichsfeld, aus dem 19. Jh. stammend. Andere wieder behaupten - so Wikipedia - (URL: https://de.wikipedia.org/wiki/Maria_durch_ein_Dornwald_ging, abgerufen am 20.12.2016), dass es bereits im 16. Jh. existiert haben könnte. Kann man da nicht vielleicht noch ein bisschen weiter zurückgehen? Es hat durchaus einen inhaltlichen Bezug zu den Gemälden von Lochner und Schongauer. Dann wären wir schon im 15. Jahrhundert. Und es hat die Form einer Leise. 
Vom Text her müsste man das Lied in den Kontext von Maria Heimsuchung ordnen. Es könnte irgendeinen Stellenwert im Brauchtum dieses Festes gehabt haben und vielleicht auch - neben der Bibel - eine (lat.) Textvorlage, z.B. eine Sequenz.
Andererseits gibt es im Advent das sogenannte "Frautragen", einen heute vielerorts wiederbelebten Brauch, der bis ins 16. Jahrhundert zurückzudatieren sei (vgl. BEITL, Klaus, Frautragen. LThK4 (³1995), Sp.83). Als Element einer gegenreformatorischen-barocken Frömmigkeit wäre der Brauch von den Jesuiten und Franziskanern gefördert worden. Doch was gefördert wird, muss erst einmal da sein. 
Geistliche Spiele wurden jahrhundertelang und werden bis heute in den Klöstern inszeniert. Indizien solcher Inszenierungen, die ja auch hier und da Gegenstand der Forschung sind, werden sich wohl eher auf Zetteln und als Erwähnungen in persönlicher Korrespondenz finden lassen. Im Kloster kann der Beginn des Frautragens von der Kirche zur Zelle der Oberin oder auch der anschließende Ortswechsel von Zelle zu Zelle in Form einer Prozession mit Kerzen und Gesang begangen werden. Die Muttergottesstatue könnte auch ganz schlicht von einer Schwester mit einem Segensgruß vor die nächste Zelle gestellt werden. So wandert die Figur von einer zur anderen. 
Damit wäre ich bei einem gegebenen möglichen Anlass für den Entstehungskontext des obiges Liedes angekommen. Da klausurierte Klöster trotz Klosterregel in ihren Gepflogenheiten ganz individuelle Zusatzriten für die besonderen Ereignisse in den geprägten Zeiten haben konnten, war es auch möglich, dass man ein Lied dafür komponieren konnte, das sich dann in einer Gemeinschaft tradierte. Zu Beginn des 19. Jh. aber sind mit der Säkularisation viele Klöster untergegangen, Ordensleute mussten in ihre Familien, auf jeden Fall in ein säkulares Leben zurückkehren. Dies böte Raum, auch geschätztes Brauchtum in die nichtklösterliche Welt mitzubringen. Und Sammler jeglicher Couleur konnten diese Gelegenheiten für ihre Zwecke nutzen. Auch solchen Dingen könnte man einmal nachgehen. Ich jedenfalls halte das Lied für älter...

Dienstag, 20. Dezember 2016

Amplexus Gertrudis - nostra Abbatissa secunda


Der sechste Teil des Buches der Mechtild von Hakeborn enthält eine Lebensbeschreibung ihrer leiblichen Schwester, der Äbtissin Gertrud von Hakeborn. Dort steht der folgende Text, der einen Amplexus beschreibt, nicht - wie man erwarten könnte - den einer Nonne, die tief versunken ins Gebet eine Ekstase hat, sondern noch eine Spur existenzieller, nämlich als Verbindung von Tod und Leben (und in dieser Reihenfolge!):

"Cum vero in Passione legeretur, et inclinato capite tradidit spiritum, Dominus velut ex incontinentia ferventissimi amoris inclinatus super agonizantem ambabus manibus Cor proprium aperiens super eam expandit." 1

Damit dürfte klar sein, dass es ein Karfreitag war. Doch es ist nicht nur die Stunde des Sterbens Jesu in Gegenwart von Maria und dem Evangelisten Johannes, die bei der Sterbenden als anwesend geschildert werden. An diesem Tag wird im gleichen Evangelium auch von der Seitenöffnung berichtet, die hier mit dem Bild der liebenden Inclinatio Christi, dem Amplexus, zu einem Gipfel liebevollen Einswerdens, d.h. zu einem Akt wundervoller Schönheit verknüpft werden. Da ich darüber bisher noch nie etwas gelesen habe, während die Beschreibung des Amplexus des Bernhard von Clairvaux durch Konrad von Eberbach2 die Kunst durch die Jahrhunderte reichlich inspiriert hat, wollte ich hier einmal darauf aufmerksam machen.


1   Liber specialis gratiae in: Sanctae Mechtildis Virginis Ordinis Sancti Benedicti Liber specialis gratiae accedit Sororis Mechtildis ejusdem Ordinis Lux Divinitatis, (Revelationes Gertrudianae ac Mechtildianae II, hg.von den Mönchen von Solesmes) Poitiers / Paris 1877, S. 382.
2  Conradus, Mönch in Clairvaux, später in Eberbach und Abt daselbst: Exordium Magnum Cisterciense oder Bericht vom Anfang des Zisterzienserordens,(Quellen und Studien zur Zisterzienserliteratur 3, übersetzt und kommentiert von Heinz Piesik [Hg.], Teil 1, Bücher I- III, Langwaden (2000), S. 154f.,Lib. II, Cap. VII, 5-16.

Donnerstag, 15. Dezember 2016

GK - Dokumente und Frauenklöster - eine Frage

Über die Generalkapitelsbeschlüsse im Hinblick auf die Frauenklöster und deren Zugehörigkeit zum Orden oder auch nicht, ist ungeheuer viel gearbeitet und geschrieben worden. Man könnte meinen, es sei eine Zeit lang geradezu ein Sport gewesen, für jedes Kloster eine Zugehörigkeit herauszulesen - ich wiederhole mich - oder auch nicht (!) und diesen Befund dann in eine klosterspezifische Monographie einzuarbeiten. Aber weiß jemand, ob es irgendwann einmal unternommen wurde, eine simple Liste der Klöster zu erstellen, die dort genannt sind? Man ist sich ja heute doch weitgehend einig, dass die Nennung dort gewissen Rahmenbedingungen unterlag und nicht generell mit der Existenz oder Nichtexistenz gleichzusetzen ist.

Sonntag, 4. Dezember 2016

Rechtfertigung - Florentina von Oberweimar

"Eyn geschicht wie Got eyner Erbarn kloster Jungfrawen ausgeholffen hatt"

1524 erschien diese Schrift, deren Autorin, Florentina von Oberweimar, eine Nonne aus dem ehemaligen Kloster "Neu - Helfta" in Eisleben war. Sogar mit einem Vor- und Nachwort und kommentierenden Randglossen Martin Luthers.

[Diese und die folgenden Infos zu ihr sind entnommen: Antje RÜTTGARDT, Klosteraustritte in der frühen Reformation. Studien zu Flugschriften der Jahre 1522 bis 1524, (Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte 79) Gütersloher Verlagshaus, Verein für Reformationsgeschichte, Heidelberg 2007, S. 256 - 315.]

Sie war sehr jung, hatte gerade einmal ungefähr drei Jahre Profess und - diese abzulegen - geschah (wie damals üblich) nicht in der Wahlfreiheit, die die Regel, auf die sie Profess ablegte, vorschreibt. Sie wollte unbedingt raus, startete mehrere Fluchtversuche, beschaffte sich unrechtmäßig die Dinge, die sie dazu nötig hatte (eine rechtmäßige Möglichkeit hätte sie unter den geschilderten Bedingungen auch gar nicht gehabt), wurde unter Bewachung und teilweise Kerkerhaft gestellt. - Soweit die Geschichte.

Heute geht ein Austritt bedeutend leichter, heute gibt es 'Gott sei Dank' keine erzwungene Profess mehr. Sollte sich herausstellen, dass ein Profitent sein Gelübde in irgendeiner Art von Unfreiheit abgelegt hat, ist es per definitionem ungültig. Doch - abgesehen davon: Verlässt man ein Kloster, ergibt sich ein gewisser Erklärungsbedarf, zumeist nach aussen, aber auch gegenüber denen, deren Leben man für eine Zeit geteilt hat.

In früheren Zeiten war ein Austritt ein recht mutiger Schritt. Sich von einer Institution mitschleifen zu lassen, deren Gemeinschaft man innerlich gar nicht mehr teilte und es sich darin passiv einzurichten, war einfacher und hatte im Sinne von Versorgung doch immer noch weit mehr Annehmlichkeiten als der Gang hinaus. Eine Alternativlösung konnte manchmal ein Klosterwechsel sein - diesbezüglich könnte es in Archiven verstreut sicher älteren Schriftverkehr verschiedener Art geben. Ein Klosteraustritt hatte etwas von Stigmatisierung an sich. Den "Stand der Vollkommenheit" (ziemlich anmaßender Begriff!) verlassen - das konnte ja nur jemand, der in den Augen anderer unvollkommen und daher verwerflich war. Für den einfachen Bürger spielte es keine Rolle, ob man Gründe wusste oder nicht. Ein Skandal, ein Kloster zu verlassen! Ein Skandal ebenso für Angehörige. Und Freundschaft mit so jemandem zu pflegen oder einen Broterwerb zu finden, gestaltete sich vielleicht auch problematisch. Somit waren der Rechtfertigungsgründe viele.

Verständlich also, dass es jemanden drängte, der diesen Schritt tat, Stellung zu nehmen. Und was konnte man dann unternehmen?

Heute ist es leicht, mit seiner Botschaft über einen Ort sofort via Internet ein größeres Publikum zu erreichen, das man mit "Internas" füttern kann und das zum Teil auch dankbar alles schluckt, was da serviert wird, da man mit einem Blick hinter die Kulissen beschenkt wird. Daran haben Menschen immer Interesse. Wer sich mehr Arbeit machen möchte oder den Wert des zu Sagenden höher einschätzt oder nebenbei noch zu einer mehr oder weniger ergiebigen Geldquelle machen möchte, der schreibt bei vorhandenen Eigenmitteln ein Buch und nutzt - bei bestehendem medialen Interesse und Geschick - öffentliche Auftritte. Doch welcher echte Ordenschrist hat schon vorhandene Eigenmittel? Und obendrein als Frau damals brauchte man schon jemanden, der einem half, seiner Stimme und Sichtweise Gehör zu verschaffen. Im obigen Fall war das Martin Luther.

In der Folgezeit bis heute haben ungezählte Menschen immer wieder diesen Weg hin zur Öffentlichkeit gewählt. Und je nach Zeit, Anlass, Kontext und Form des Weggangs wird es da ganz viel Material für eine Spurensuche geben.Das bedeutet: Auch wenn das zu berichtende Vorgefallene - einmal ganz sachlich gesagt - subjektives Erleben war, das von der jeweils betroffenen Einzelperson individuell dargelegt wurde und wird, bildet die Thematik mittlerweile über die Zeit ein Genre, das seinen Stil und auch seine Topoi herausgebildet hat und damit bewusst oder unbewusst gewisse Hörer- oder Leserwünsche erfüllt(e). Und es könnte auch sein, dass es Berichte in unterschiedlichem zeitlichem Abstand zum Austritt (sofort und viele Jahre später) gibt, was den Blickwinkel auf ein Geschehen vielleicht verschob. Denn mir scheint, die meisten waren jung.

Ist das nicht ein lohnender Forschungsacker für viele, viele Jahre? Wer hat als erster ein solches Thema als Betroffener verschriftlicht - speziell auch: Welche Frau ging diesen Schritt der öffentlichen Rechtfertigung zuerst  - vielleicht Florentina? Wie umfangreich und welcher Art (Brief, Flugschrift, Buch, evtl. Blog) sind die Quellen zur Thematik? Welche Zielgruppe(n) gab es (unbesehen des rein rechtlichen Vorgangs, der heute natürlich der Schriftform bedarf)?

Samstag, 3. Dezember 2016

Da kommen mir doch ein paar Zweifel...

Ich lese gerade den Artikel "Nuns", den Elizabeth Freeman im Cambridge Companion von 2013 geschrieben hat. Dort steht der Satz (meine Übersetzung): 

"Kein Wunder, dass Frauengemeinschaften, die vom Zisterzienserexperiment beeindruckt waren, sich in verschiedenen Formen des Zisterzienserlebens engagierten; schließlich gab es in den frühen Dekaden des 12. Jh.s keine klaren Richtlinien und sicher keine Garantien, dass die produzierten Texte, unter allen Gruppen, die neue Klostergemeinschaften quer durch Europa bildeten, verteilt wurden."

Ja, das ist erst einmal wahr. Es gab am Anfang eine ganze Reihe von Experimenten und keine ausgegebenen Direktiven. Aber... Wer ist hier denn eigentlich in der Schuld? Der, der ein neues Konzept gibt oder der, der es nutzen möchte? Die Frage kommt in dem Text nicht vor. Deshalb möchte ich sie hier stellen. 

Gesetzt den Fall, es gibt ein neues Heilverfahren im Bereich der Medizin, das Interesse weckt und angefragt wird. Setzt sich der Arzt dann in die eigene 'Praxisküche' und entwickelt das vom Hörensagen bekannte Neue in eigener Kreativität neu oder gibt er sich nicht vielmehr alle Mühe, das genauer kennenzulernen, was da anderswo praktiziert wird? Natürlich gibt es viele Möglichkeiten und indirekte Wege des Lernens und Kennenlernens. Wer aber etwas unbedingt kennenlernen und anwenden will, der wird keinen Weg scheuen, das Neue möglichst genau in Augenschein zu nehmen, und er wird Kontakt aufnehmen mit denen, die das Verfahren entwickelten. Heute bedeutet das Mailanfrage und Hospitation am Ort des Geschehens. Und - so diese nicht möglich ist - so doch mindestens an einem nächsten Ort, der damit bereits Erfahrung gesammelt hat. 

So ist es heute. Aber waren die Leute, zumal die Frauen damals, weniger intelligent, sich um ihr eigenes Interesse zu kümmern? Ist es nicht ein bisschen zu institutionell gedacht, dass 'der Berg zum Propheten' gehen soll, statt der 'Prophet zum Berg'? Ich jedenfalls finde es befremdlich, wenn ich annehmen soll, dass jemand sich in einer Lebensweise üben möchte, die er nur vom Hörensagen und ohne irgendeine Art von Anleitung kennt. Hier möchte ich wirklich fragen, ob da am Ende nicht was Anderes herausgekommen wäre, als man beabsichtigte, zu unternehmen. Und wie stünde das im Widerspruch zum Engagement, das von der ersten Generation überliefert ist? Ich halte es also für sehr geboten, sich auf dem Forschungswege in die Wege und Möglichkeiten zu vertiefen, die unternommen wurden, dieses Ziel zu erreichen. Dabei ist nicht nur an den direkten Weg gedacht im Sinne eines persönlichen Erscheinens, sondern an all die vielfältigen anderen "Mediendienste" wie Briefe und Botensendungen unterschiedlichster Couleur (Stifter, Bischöfe, Pilger, Gäste), die sich mit konkreten Anfragen und Bitten auf den Weg machten.

Nonverbales: Macht hoch die Tür...vor mir?

Der heilige Benedikt sagt, man solle so vor dem Herrn stehen, dass Herz und Stimme im Einklang (RB 19,7) seien. Das schreibt er zwar vom Verhalten am Chorplatz - es gilt Authentizität aber überall als edles Markenzeichen. Wir alle sind Menschen, die - in Zusammenhänge verstrickt - dann aber doch eigene Ziele setzen und Nebenmotive entwickeln. Ist ein Dienst wirklich Dienst oder eine Spielwiese für verschiedenste andere Handlungsoptionen? Alles bietet eine Möglichkeit für Eigenbrödelei und Nebensinn. Das fängt im Chor an mit laut, leise, gar nicht, falsch, unrhythmisch, disharmonisch, ständig hüstelnd, herausgehoben in Haltung und Gebaren, geht auf den Wegen weiter und zieht sich in jedem Bereich des Tuns durch. Wie wichtig ist doch ein Publikum!
Schonmal eine richtige hochherrschaftliche Prozession gesehen? Mit wieviel Würde man da so daherschreiten kann... Mitunter wird dabei das ganze Mittelalter lebendig, eine Inszenierung entsteht - nur - wer ist der Mittelpunkt davon und wer sollte es im Kloster sein? Unbewusst spiegelt sich in Haltung und Schritt, in Mimik und Gestik das, was eine Person nicht gerne über sich sagen würde, was die anderen aber doch möglichst zur Kenntnis nehmen möchten. Und je mehr der individuelle Eindruck besteht, man sei zu wenig beachtet, umso mehr entwickeln sich Formen, sich das zu holen, was man braucht oder meint, dass es einem zukomme. Ganz zu schweigen von gewollt demütigen Präsentationssituationen, die es im Kloster natürlich auch gibt. Dann kommt manchmal der Punkt, wo alles diskret Platzierte so unauffällig auffällig  wird, dass es dem Skurrilen und Komischen Platz macht, weil sich überzogen würdiger Ernst mit einem zu schlichten, ja - banalen Anlass paart. Das sind die Momente zum Schmunzeln, das ist Kino live, aber auch eine Stolperfalle...denn die eigenen Marotten sind ja nur anders gelagert, nicht aber unsichtbar.

Im Kloster gibt es jeden Tag kleinere Prozessionen - sichtbare und unsichtbare: den Einzug und Auszug in die Kirche bzw. wieder heraus bei Laudes, Messe und Vesper, den Gang zum Kapitelsaal, aber auch den Weg im Schweigen ins Refektor. Äussere Inszenierung bewirkt innere Inszenierung - ganz automatisch. Man kann hingekehrt sein zu dem, den (was) man liebt, aber auch zu denen, deren Zuneigung und Aufmerksamkeit man erwartet oder voll beschäftigt sein mit dem, was noch alles an Arbeit ansteht, was man vergessen hat etc. 

Natürlich - man muss viel lesen und diverseste Quellen studieren, um den internen Überlieferungen solchen Verhaltens, das ja kein Geheimnis ist, auf die Spur zu kommen. Karrikaturen von Ordensleuten beispielsweise in den Umbruchszeiten wie Reformation und Säkularisation gab es ja genug. Ich meine hier wirklich die internen Überlieferungen, die kleinen spitzen Andeutungen und Schönfärbungen, die nur ganz diskret durchblicken lassen, was man aus Takt nicht sagen kann. Sie bieten vielleicht den erhabeneren Stil, werfen aber auch in besonderem Maß ein Schlaglicht auf Schwierigkeiten und Ernst monastischen Verhaltens, das in einer Hinsicht sicher zeit- und ortsunabhängig, andererseits aber doch auch veränderlich im Sinne der Zeitverhältnisse sein kann.

Dienstag, 4. Oktober 2016

Kunigunde von Schwaben

In gewisser Hinsicht war Kunigunde von Schwaben eine tragische Gestalt, denn sie war - ohne selbst etwas dafür zu können - der Beweggrund für den Mord an ihrem Vater, dem deutschen König Philipp von Schwaben. Dies soll aber hier nicht so sehr mein Interesse wecken. Ich möchte mich ihrem Namen zuwenden, den sie als erste in der Staufergenealogie trägt. Dabei möchte ich einen zisterziensischen Blick auf die Namensgebung werfen, der ein Ansatz zu weiterer Nachforschung sein könnte. Die zweite Tochter des Stauferkönigs trägt nämlich nicht nur den Namen einer heiligen deutschen Kaiserin, was sicher angemessene Tradition gewesen wäre, sondern auch den Namen einer im Kontext des deutschen Thronstreites nicht unwichtigen Äbtissin: Kunigunde von Grumbach, Äbtissin der Abtei Ichtershausen bei Arnstadt, in der sich die Fürsten vor der Königswahl versammelten. Dass dieser Ort eine wichtige Bedeutung in König Philipps Leben hatte, davon berichtete er Jahre später dem Papst. Meine Frage: Verbirgt sich hinter der Namensgebung dieser großen und zu jener Zeit soeben heilig gesprochenen Kaiserin Kunigunde auch und vor allem eine Hommage an die an Rang etwas kleinere , aber nicht weniger bedeutungsvolle Dame, eben  besagte Äbtissin? Hat die Taufe dieser Königstochter vielleicht dort in Ichtershausen stattgefunden? Und: Wenn es so gewesen wäre, wenn es Beziehungen aus den Jahren der Kindheit zu jenem "glücklichen" Ort gegeben hat, dann wäre es doch auch möglich, dass Ichtershausen Jahrzehnte später der Bitte einer böhmischen Königin nachgekommen sein könnte, Ordensschwestern nach St. Marienthal zu senden. Doch dafür bräuchte es nicht nur Ideen, sondern auch Belege. Hat danach schon jemand gesucht?
Mir scheint, dass die Erforschung der Verbindungen von Frauenklöstern untereinander, die anhand von Urkundenmaterial und anderen Dokumenten zu belegen wäre, erst am Anfang steht...