Dienstag, 7. Januar 2014

Kalenderkunde - (k)ein Thema?


Der Heiligenkult ist Ausdruck privater, aber auch kollektiver Verehrung einer konkreten Persönlichkeit, die sich durch irgendein besonderes Merkmal christlicher Tugend auszeichnete. Er ist durch viele Faktoren beeinflussbar und damit in gewissen Grenzen zeitgebunden. Einen besonderen Stellenwert unter den Heiligen hatten schon immer die frühchristlichen Märtyrer. Zu ihrer hohen Popularität trug unter anderem auch die bis ins Hochmittelalter und darüber hinaus gängige Praxis von Translationen bei, die einem religiösen Zentrum dadurch mehr Bedeutung und durch die Einrichtung von Wallfahrten reiche Einnahmequellen verschaffen konnte. Nicht selten wurden dadurch auch mehrere Gedenk- und Feiertage eines Heiligen im Jahresverlauf üblich. Die Dopplung von Namen trug ein Übriges zur Vielfalt und später auch zur Verwechslung verschiedener  Personen gleichen Namens bei. Da die Bedeutung der jeweiligen Heiligen im Alltagsleben an eine persönliche Verehrung und einen regionalen Kult gebunden sind, durch welchen ihr Wirken memoriert wird, wundert es nicht, dass fast jeder kleinere Heilige neben seinem ehemaligen Wirk- oder Leidensort auch soetwas wie eine zweite "Heimat" hat. Dies alles gibt der Kalenderforschung einige Möglichkeiten der regionalen Einordnung.

Der zisterziensische Festkalender, wie er in den Ecclesiastica Officia erwähnt wird[1], hat trotz der allgemeinen Verbindlichkeit auch Raum für individuelle lokale Gepflogenheiten gelassen. Nicht umsonst haben die Bollandisten eine ganze Reihe zisterziensischer Kalender unterschiedlicher Regionen zusammengetragen. Dies erklärt sich einerseits durch die in der Frühzeit praktizierte Stellung unter bischöfliche Amtsgewalt und die erst schrittweise Exemtion aus dem Diözesanverband, in der späteren Zeit durch die Einrichtung von Kongregationen, durch die das lokale Element gegenüber der zentralistischen Organisationsstruktur wieder aufgewertet wurde.

Sich auf die Spuren von Klosterkalendarien u.a. in Psalterien, Brevieren, Missalen, Sammelhandschriften und Nekrologen zu machen, die hier und da ganz vergessen in irgendeinem Archiv oder irgendeiner Handschrift schlummern, könnte vor allem bei den Frauenklöstern auch einiges über die mögliche Herkunft, eventuelle Filiationszusammenhänge offenlegen und noch Beiträge zu vielen weiteren Fragestellungen liefern. Überdies dürfte interessant sein, ob und in welcher Weise Kompromisse in den nichtexemten Frauenklöstern im Vergleich zu den exemten bezüglich der Festtage notwendig waren. Publikationen solcher Kalendarien sind bisher selten. Exemplarisch sei in diesem Zusammenhang auf die Kalendarien aus Königsbruck[2], Medingen[3], Schmerlenbach[4] und Billigheim[5] hingewiesen. Weiteres Material scheint es in Gnadenthal und Sonnefeld zu geben, und auch Wechterswinkel hat einen Kalender, wie Helmut Flachenecker zusammenträgt [6]. Die sorgfältige Recherche und dann vor allem die Zusammenschau solcher publizierter Einzelarbeiten dürften wertvolle Ergebnisse bringen.

[1] Vgl. die Zusammenstellung der dort erwähnten Feste in: Ecclesiastica Officia. Gebräuchebuch der Zisterzienser aus dem 12. Jahrhundert, übers., bearb. und hrsg. von Hermann M. HERZOG und Johannes MÜLLER (Quellen und Studien zur Zisterzienserliteratur 7, Langwaden 2003) 499 – 502. 
[2] Alfred PFLEGER, Ein Königsbrucker Kalender des 15. Jahrhunderts, Etudes Haguenauiennes (1948) 61-77. 
[3] Wolfgang IRTENKAUF, Vor 500 Jahren: der Medinger Kalender, Heimatkalender für Stadt und Kreis Uelzen (1998) 135 – 140. 
[4] Franziskus Lothar BÜLL, Quellen und Forschungen zur Geschichte der mittelalterlichen Frauenabtei Schmerlenbach im Spessart, (2 Bde. Würzburg 1970, Bd. 2) 754 – 777.
[5] Karl-Heinz MISTELE, Kalendar und Nekrolog des Klosters Billigheim, CistC 69 (1962) 55-68.
[6] Helmut FLACHENECKER, Memoria und Herrschaftssicherung. Vom fränkischen Adel und von frommen Frauen zwischen Spessart und Thüringer Wald, in: Nonnen, Kanonissen, Mystikerinnen. Religiöse Frauengemeinschaften in Süddeutschland, hgg. von Eva SCHLOTHEUBER / Helmut FLACHENECKER / Ingrid GARDILL (Studien zur Germania Sacra 31, Veröffentlichungen des Max-Planck- Instituts für Geschichte 235, Göttingen 2008) 143-177, hier 174f.