Bei der Beschäftigung mit der
Mirakelsammlung für die Nonnen von Wechterswinkel des
Engelhard von Langheim, fiel mir eine Geschichte mit folgender
Überschrift auf:
Ordinis
defensio et fratris mali exitus.1
Vor
allem ist es die Einleitung zu diesem Mirakel, welche mit den
Eckdaten der eigentlichen Geschichte doch die Frage aufwirft, ob es
sich hier nicht um den Nachklang des Guido - Falles des Jahres 1134
handeln könnte.2
Möglicherweise aufgrund der behandelten Thematik, hat die
geschilderte Motivation, die den Autor veranlasste, diese selbst
erlebte Geschichte aufzuschreiben, bisher kein wissenschaftliches
Interesse gefunden. Und er beabsichtigte auch klar, den Ort des
Geschehens zu verschweigen.
Allerdings,
wenn ein einfacher Mönch oder ein ehemaliger Oberer in
irgendeinem Kloster einen Fehltritt begeht, ist doch wohl fraglich,
ob man dann damals gleich den ganzen Orden verteidigen musste. Oder
waren es inzwischen tatsächlich 'zahlreiche'3
Ordensmitglieder, die mit einem Leben als Trittbrettfahrer und
Heuchler eine gute Sache unterwandert hatten? Immerhin benutzte
Ordericus Vitalis im 8. Buch seiner auf 1136 datierten
Kirchengeschichte bei der Charakterisierung derer, die im weißen
Habit gingen, auch schon das im folgenden Text verwendete Gleichnis
vom Unkraut unter dem Weizen (Mt 13), sogar mit dem gleichen Wort
lolium für Unkraut, während in der Vulgata zizania zu
lesen ist. Engelhard schildert in Stakkato–Form eine ganze Reihe
von disziplinierenden Maßnahmen. Das spricht für ein stattgehabtes
großes allgemeines Engagement zur Besserung der Ordensdisziplin, die
wohl Reaktion auf eine gewaltige öffentliche Empörungswelle sein
mag. Exkommunikation, Verbannung und externe Bestattung sind doch
drastische Mittel einer Disziplinierung und Abschreckung. Die
Apologie des hl. Bernhard hatte in den 1120er Jahren einen Finger in
die Wunde monastischen Fehlverhaltens gelegt, war es da nicht
naheliegend, mit der weniger glänzenden Realität auf sarkastische
Weise zu antworten, wie es beispielsweise ein Payen Bolotin4
tat?
Ein paar Überlegungen zum Text:
(1)
Da wäre das Bestrafungs- und Verbannungsjahr für einen ehemaligen
Oberen mit Exkommunikation.5
Der Bruder im vorliegenden Text war zum Zeitpunkt der Tat weder
exkommuniziert, noch kann man den Eindruck gewinnen, er wäre nicht
in seinem Kloster, noch scheint er irgendeiner Strafe unterlegen zu
haben. Demnach müsste wenigstens ein Jahr seit der Absetzung
vergangen sein. Wäre es jener Guido, so könnte man annehmen, dass
er - aus Cîteaux vertrieben - wieder in seinem Heimatkloster Trois-Fontaines aufgenommen worden war, wo man ihn als Mitbruder wieder in
die Gemeinschaft eingliederte, ohne ihn anzuklagen, ja, indem man
sein Treiben offenbar noch geleugnet hatte, sodass er frei und
unbehelligt seiner 'Wege' gehen konnte. Und natürlich hatte man
seinerzeit, nach dem Weggang des Guido nach Cîteaux, einen neuen Abt
gewählt.
(2)
Der Fall ereignete sich, dem Text zufolge, auch nicht im dormitorium,
sondern in einem cubiculum. Hatte ein Krankenpfleger eine
separate Schlafkammer in der Nähe des Krankendormitoriums? Oder
hatte jener als ehemaliger Oberer trotz Nachfolger noch das Privileg
einer Einzelzelle?
(3)
Die Rolle eines Krankenpflegers für jenen Guido, an den ich bei
dieser Geschichte denke, passte auch deshalb ganz gut ins Bild, weil
er in dieser Rolle in Cîteaux vor seiner Abtswahl äusserst dichten
Kontakt zu dem alten, blinden und kranken Abt Stephan Harding gehabt
hätte. Die entsprechenden Angaben seines (= Guidos) Endes ähneln
ein bisschen den Aussagen des Robert von Torigny, der ebenfalls
berichtet, jener habe den Verstand verloren bzw. ein gottloses Ende
gehabt.6
Auch das 'Ausreißen der Bastardpflanze aus dem Paradies'
entsprechend dem Exordium Magnum7
fände hier in der Art der Bestattung eine nähere Erläuterung. Das
Spottlied des Payen Bolotin wäre eine gute Illustration für einen
habgierigen und ausschweifenden Menschen, wie diese Geschichte ihn
zeichnet.8
(4)
Nach den späteren Beschlüssen des Generalkapitels - hier GK 27 [66] -
waren von diesem Gremium schwer Bestrafte besonders
Diebe, Verschwörer und auch Brandstifter.9
Zwar bestätigt die Ausnahme die Regel, doch ist es durchaus möglich,
dass primär der für einen Mönch abstoßende luxuriöse
Lebenswandel der Stein des Anstoßes war, während über andere
Vorfälle, wie die Geschichte ja auch erzählt, bei der Absetzung
noch der Mantel des Schweigens gehüllt werden konnte, eben weil ihn
niemand dessen anklagte.
(5)
Und noch etwas gibt zu denken: der Plural, den ein Angehöriger des
eigenen Ordens bei der allgemeinen Aufzählung derer, die ihr
monastisches Leben als Fassade vor sich hertrugen, benutzte. Das
wirft tatsächlich die Frage auf, ob es eine Häufung solcher Fälle
in jenen Jahren gegeben hat, Mönche aus der zweiten Generation, die
schon etwas genießen konnten von jener Achtung und Wertschätzung,
die die Gründergeneration mühsam erworben hatte. Doch wen anders
als Äbte konnte man mit 'berühmt im Land' meinen? So
gibt die Geschichte nochmal einen anderen Blick auf den Kontext der
Herausbildung der Strukturen, die uns heute so bekannt sind, ja
welche die Besonderheit dieses Ordens in jenem Jahrhundert werden sollten:
Generalkapitel und Visitation.
(6)
Schließlich noch eine Anmerkung zur Vita des Autors. Über weite
Strecken ist seine Vita doch recht unbekannt, sodass sich in dieser
Geschichte mit dieser Angabe ein neues Detail findet. Denn sollte es
sich tatsächlich um das Ende jenes Guido handeln, so war der Autor
zu einem bedeutend früheren Zeitpunkt schon Zisterzienser, als
bisher angenommen.
Nun
aber der Text, den ich nach der kritischen Edition von Hans Detlef
Oppel übersetzt habe.
Ähnlich diesem10, möchte ich (etwas) hinzufügen, was die Unzucht bekämpfen möge, denn sie selbst ist der Grund für das Geschehene und für das Gerede. Ich bin ein Zeuge dieser Begebenheit, auch wenn mir wie einem weniger geeigneten Zeugen Vertrauen zu schenken ist. Mit vielen könnte ich (es) beweisen, aber in der Sprache unbeholfen, will ich den Inhalt besprechen, nicht die Person, die Tat vortragen, den Ort verschweigen, damit der Verteidigende ein Schutzmittel bereite, der Worte Zurückhaltende Schaden meide.
Jenes ins Meer ausgeworfene Netz des Evangeliums (Mt. 13,47) versammelt Fische aller Art zum Glauben, und in ihm führt auch jeder Orden seine Gefangenen (vgl. Ps 68,19; evtl. Eph 4,7) und zieht (sie) zur Bekehrung. Unter diesen ist unser Orden beim Fang nicht der Kleinste, viele reißt er an sich (vgl. Mt. 11,12). Wie Lea im Vergleich zu Rachel ist er (= der Orden) fruchtbar in der Geburt geworden (vgl. Gen 28ff), vielfältig im Tun und erweist sich als überaus zahlreich (vgl. Gen 15,5). Er ist hoch aufstrebend im Vorhaben (vgl. Mt 7,14), groß an Verdienst (Ps 19,12; Mt 25, 21; Mk 10,30; Lk 19, 17), gewalttätig im Hinblick auf das Reich Gottes (vgl. Mt 11,12) und treu im Blick auf den Lohn (vgl. Mt 25,21), aber doch ist er wegen der Aufnahme der Vielen nicht bis zur Hefe ausgeleert (Ps 75,8), wieviel er auch durch die Sache im Eifer gebeugt (ex hoc in hoc vgl. Ps 75,8) und wegen der Besorgnis der Oberen geschwächt wurde. Deshalb jenes jährlich wiederkehrende und allgemeine Kapitel und nach der Ernte der Früchte die Ernte der Vergehen (vgl. Mt. 13,30), deshalb jene scharfe Sichel (vgl. Mk 4, 29) der Exkommunikation, die die Schuld abschneidet (vgl. Joh 15,6) oder sogar gleichzeitig die Verbrecher tötet (vgl. Offb 14,19), deshalb die Visitationen der Äbte, die, was auch immer an Schlechtem verborgen sei, ans Licht bringen (vgl. 1 Kor 4,5), deshalb jene schnelle Korrektur ohne Ansehen der Personen. Wie bei allen, so verbirgt sich auch bei uns diese Schlange im Gras, der die Söhne Evas dennoch das Haupt zertreten (vgl. Gen 3,15), wo immer sie jenes zum Schaden herausstreckt. Und, ich gebe zu, selten geschieht es, dass sich unter uns Verbrechen verstecken, sie erfahren ein schnelles Ende, widrigenfalls zugleich mit dem Tod, und solch ein Tod, dass er allen bekannt gemacht und zum Zittern sei, oder aber durch Korrektur oder auch durch dauerhafte Verbannung. Ich habe Brüder gesehen, prahlerisch im Charakter, an Gaben wohlhabend, im Gebrauch der Klugheit glänzend, berühmt im Land, bei Kleinen und Großen willkommen, die, solange bis ein Gerücht ihnen Unehre machte, die Ordensdisziplin nicht einhielten und die von ihren Gemeinschaften, in denen sie Wohnrecht hatten, lange verstoßen wurden. So ist es, dass man den, der mit den Lebenden nicht auf das Leben hinarbeitete, in seiner Sünde nicht in der Nähe der übrigen Sterbenden lässt; weil man nicht abhelfen kann, kommt bei den Lebenden Schrecken auf, so dass sie sich davor hüten, indem sie jener Verdammten und Unwürdigen im Gebet gedenken.
Ich möchte von einem so Sterbenden berichten, was ich gesehen habe:
Der Bruder war Krankenpfleger sowie auch früher bestellter Oberer über alles, in allem verschaffte er sich, eins nach dem anderen, was er begehrte, und, wie es am Ende klar wurde, (war er) einer von diesen, deren Knochen Gott zerstreut (vgl. Ps 141,7), weil sie den Menschen gefallen. Sie duldeten schweigend jenes (Bruders) unreine Taten, es war niemand da, der ihn anklagte, jedoch auch, indem sie bestritten leichtgläubig gewesen zu sein, zögerten und leugneten sie mit ihm, der sich ihres Gehorsams bedient hatte. Der treue Zeuge im Himmel (vgl. Offb. 1,5) wachte darüber, er sah es, und es missfiel ihm, und er selbst schickte sich an, zu bestrafen.
Es war Weihnachten, und jener Bruder hatte zum dritten Male am heiligen Tag nach der Nacht kommuniziert; er wiederholte noch einmal seine Wege, von denen er nicht (mehr) zurückkehren sollte. Als es Morgen geworden war (und) jener nicht erschien, wurde gesucht, wo er sei, und siehe, man fand ihn nackt, nicht bei Verstand und sterbend im Keller. Damals war ich an jenem Ort. Ich laufe mit den Laufenden, man kam zum Keller, und jene Nacktheit verhieß nichts Gutes im Bewusstsein der Einzelnen. Sie fanden auch Überreste von irgendwelchem Fleisch, freilich Speisen, die dort niemand vorgesetzt hätte, es sei denn, nachdem unheilvolle Krankheitssymptome sichtbar geworden wären. Er wurde auf den Armen der Brüder herausgetragen, sie leiden und bemitleiden sich alle seinetwegen, sie geben ihm, was einem Kranken unter den Brüdern zu erstatten ist: die heilige Salbung, die Litanei und das Psalmengebet. Er starb, wurde begraben, wie man es ihm schuldete, sie lösten ihn ganz aus, und siehe da, es gab seinetwegen viel Geschwätz. Der Abt wollte es verbergen, doch schrie die Ungeheuerlichkeit, dass jener Bruder so übel verstorben war, dass er in jener Nacht mit einer Frau geschlafen hatte, dass er in Gestalt einer Frau jenen Dämon geduldet hatte und er von dem schrecklichen Liebhaber getötet wurde. Schließlich wurde die Frau gefunden, die sich dort im Schlafraum versteckt hatte. Gefragt, wie sie gekommen sei, antwortete sie, sie sei von jenem Bruder hineingeführt worden; indem man sie ersuchte, ja anflehte, dies nicht bekannt zu machen, ließ man sie aber in Frieden gehen. Zwei Tage lang war sie dort gewesen, hatte in den Nächten mit dem Bruder geschlafen, dann, zu jenem Zeitpunkt, war sie wegen eines natürlichen Bedürfnisses fortgegangen, sie war sofort zurückgekehrt, hatte ihn ohne Verstand und Stimme aufgefunden, nichts anderes sei zu glauben, als dass ein Dämon ihn in ihrer Gestalt umgebracht hat, der sich, so sagte sie, meiner bedient hat, um zu sündigen. Es wurde befohlen, es zu verheimlichen, doch man konnte es nicht, der Vorfall wurde den Richtern angezeigt, und sie ordneten zum Schrecken der Lebenden an, seinen Körper vom Friedhof zu verbannen, damit sie sich fürchten mögen zu sündigen, wenn man sich des Körpers eines Toten nicht erbarmt.
In einem Haus unseres Ordens ist dies vorgefallen. Es mag sich wundern oder verleumdet sehen, wer will, doch möge man sich antworten, dass unter den Söhnen Gottes auch der Satan war, dass das Paradies nicht von der Schlange verschont blieb, dass auch Judas ein Mitapostel des Petrus war, dass der Hausvater mit dem Weizen das Unkraut bis zur Ernte wollte wachsen lassen (vgl. Mt. 13,30), dass das Netz des Evangeliums seine Fische am Ende nicht im Meer, sondern am Ufer gesichtet und die Guten von den Bösen in Gegenwart der Engel getrennt hat (vgl.Mt.13,48.49).
1 Hans
Detlef
Oppel,
Die exemplarischen
Mirakel des Engelhart von Langheim. Untersuchungen und kommentierte
Textausgabe,
Dissertation, Würzburg, 1976, 177-180.
2 Siehe
mein Blogbeitrag vom 07.September 2018: Wurden die Frauenklöster
für die Schuld eines korrupten Abtes bestraft? URI:
https://anguluscustodis.blogspot.com/2018/09/wurden-die-frauenkloster-fur-die-schuld_7.html.
3 Ordericus
Vitalis, Historia Aecclesiastica, Liber VIII, 26,7, in
Hildegard Brem –
Alberich M. Altermatt
(Hgg.) Neuerung und Erneuerung. Wichtige Quellentexte aus der
Geschichte des Zisterzienserordens vom 12. bis 17. Jahrhundert,
(Quellen und Studien zur Zisterzienserliteratur Bd. 6) Langwaden
2003, 154.
4 Jean
Leclercq, Le poème
de Payen Bolotin contre les faux ermites., in „Revue
bénédictine“ 68 (1958) 52-86.
5 Vgl.
SCC5, 3-6, in Hildegard Brem
– Alberich M. Altermatt
(Hgg.), Einmütig in der Liebe. Die frühesten
Quellentexte von Cîteaux. Antiquissimi Textus Cistercienses
lateinisch – deutsch, (Quellen und Studien zur
Zisterzienserliteratur Bd. 1) Langwaden, ²1998, 41; außerdem die
GK – Beschlüsse, hier GK 27 [66], ebd. 163f.
6 Robertus
de Torinneio
(1149-1186) Tractatus
de immutatione ordinis monachorum, Cap.
I, 2, (J.
P. Migne
(Hg.),
Patrologia Latina 202, Sp. 1311, Paris,
1855).
7 Kassian
Lauterer – Fritz
Wagner – Frank Erich
Zehles (Hgg.),
Exordium Magnum Cisterciense oder Bericht vom Anfang des
Zisterzienserordens von Conradus, Mönch in Clairvaux, später in
Eberbach und Abt daselbst, (Quellen und Studien zur
Zisterzienserliteratur Bd. 3) Langwaden, 2000, 119, I, 31.
8 Payen
Bolotin, ebd. wie Anm. 4
9 Vgl.
Einmütig in der Liebe, (wie Anm. 5), 163f.
10 Der
Autor bezieht sich auf die vorangehende Mirakelgeschichte.