Montag, 3. Juni 2019

Zisterzienserforschung aus Frauenperspektive


Vielleicht ist der wesentlichste Beitrag den meine Ausführungen zum Guido-Fall geliefert haben, auf einer ganz anderen Ebene zu suchen, die ich hier nochmal ins Wort bringen möchte: Ich glaube, dass es noch so manche schlummernde Quelle im Kontext der Frauenklöster gibt, die man bisher deshalb nicht gefunden oder als nicht relevant beachtet oder anders gelesen hat, weil man deren den Orden betreffende Relevanz gedanklich ausklammerte oder schon vorab herabstufte. Diesen Schatz gilt es zu heben.

Deshalb möchte ich auch den Werdegang meiner Überlegungen hier liefern, die mich zu diesem Guido führten:

Am Anfang dieser Überlegungen standen - wie immer - Fragen, die mir die klassische Zisterzienserforschung nicht beantworten konnte, die auch noch nicht völlig beantwortet sind:
Wieso verschwinden die Frauenklöster in dem Moment aus der offiziellen Überlieferung, als im Reichsgebiet unter zumindest indirekter Beteiligung des Abtes Bernhard von Clairvaux gerade die zwei ersten OCist-Frauenklöster gegründet wurden, deren Seelsorge allerdings gleich von Anfang an, und so, als sei es schon immer so gewesen, in den Händen von Nichtzisterziensern lag (bei Wechterswinkel sehr wahrscheinlich initial ein Aschaffenburger Kanoniker, da es in deren Pfarrsprengel etabliert wurde, bei Königsbruck ein eremitisch lebender Benediktiner aus Seltz)? Warum engagieren sich für die Reformstatuten des der Abtei Molesme unterstehenden Priorates von Jully insgesamt 5 Äbte, darunter neben dem zuständigen Benediktinerabt noch vier (!) Zisterzienseräbte, jedoch ohne die hierarchisch wichtigsten Äbte von Cîteaux und La Ferté, dafür aber zusätzlich der Abt von Fontenay? Warum gerade diese vier Äbte? Fühlte man sich nach der Gründung von Tart in Cîteaux und La Ferté einfach nicht (mehr) zuständig? Oder musste man aus anderen Gründen Abstand halten? Oder: Engagierten sich für Jully nur die Äbte, von denen Angehörige in Jully waren? Und warum überhaupt Zisterzienseräbte? Musste man die Angelegenheit so hoch aufhängen? Hat es das irgendwann nochmal in der Geschichte gegeben? Dann entdeckte ich die Parallele zu den vier Primarabteien hinter Cîteaux, als ich die Bernhardbriefe zu Guido und Rainald las und die Erklärung darin fand. Das zu jener Zeit parallel gelesene Buch über die Literaturgeschichte des neuen Testaments ließ mich die Quadriga-Auslegung des Ezechiel bei Irenäus von Lyon finden. Ich fragte mich zudem, ob es reiner Zufall war, dass der Guido-Nachfolger Rainald von Bar zugleich der Sohn des Gründers von Jully war oder als Signal gedacht.

Dann fand ich den Namen Guido als Abt von Trois-Fontaines in einer Urkunde für Jully, ausgestellt in Chartres am 01.Mai 1133 (M. Jobin, Histoire du Prieuré de Jully-les-Nonnains avec pièces justificatives, Paris, 1881, 212), und wunderte mich noch mehr, wieso dieser Abt sich dort engagierte, sich aber als Vertreter des Abtes von Cîteaux, als es um neue Statuten ging, so gar nicht blicken ließ. Auch der Ausstellungsort der Urkunde ließ gedankliche Verbindungen zu, die mir bisher nicht in den Sinn gekommen waren. Denn der Bischof von Chartres war eigentlich nicht der zuständige Diözesan für Jully. Das musste ja alles nichts bedeuten, war aber dennoch in meinen Augen zumindest seltsam. Ich dachte nach über das Poem des Payen Bolotin, der ja Chorherr von Chartres war. Gab es da einen Zusammenhang zwischen diesem Zisterzienser und Payen Bolotins Text, der ja doch recht vielseitig Verwerfliches skizziert? Ich las in der Vita des Petrus von Jully, die allegorisch verschlüsselt aussagt, dass es vor der Ankunft des neuen Priors Petrus, der explizit vom Konvent erbeten wurde, dort kein vorbildliches monastisches Leben gab. Dann suchte ich alle Stellen, die über diesen Guido berichteten und war entäuscht über deren Dürftigkeit...
Hatte man es in dieser Sache dort nochmal geschafft, den Ball flach zu halten und bewusst geschwiegen? Die Anspielungen der Petrusvita lassen nur erkennen, dass... nicht aber wer er oder sie waren. Vielleicht wäre die Rolle von La Ferté in jener Zeit auch in den Beziehungen zu Jully noch zu bedenken. Denn diese Abtei wäre vom Alter her ja die Vertreterin von Cîteaux in Leitungsangelegenheiten gewesen, bevor man das Konzept der Primarabteien einführte. Ein paar Namen und Bezüge finden sich in der Petrusvita... Auch sie ist eine noch weitgehend unerschlossene Quelle unter dem Aspekt der Ordensgeschichte. Es gäbe also noch viel zu tun...