Samstag, 3. Dezember 2016

Da kommen mir doch ein paar Zweifel...

Ich lese gerade den Artikel "Nuns", den Elizabeth Freeman im Cambridge Companion von 2013 geschrieben hat. Dort steht der Satz (meine Übersetzung): 

"Kein Wunder, dass Frauengemeinschaften, die vom Zisterzienserexperiment beeindruckt waren, sich in verschiedenen Formen des Zisterzienserlebens engagierten; schließlich gab es in den frühen Dekaden des 12. Jh.s keine klaren Richtlinien und sicher keine Garantien, dass die produzierten Texte, unter allen Gruppen, die neue Klostergemeinschaften quer durch Europa bildeten, verteilt wurden."

Ja, das ist erst einmal wahr. Es gab am Anfang eine ganze Reihe von Experimenten und keine ausgegebenen Direktiven. Aber... Wer ist hier denn eigentlich in der Schuld? Der, der ein neues Konzept gibt oder der, der es nutzen möchte? Die Frage kommt in dem Text nicht vor. Deshalb möchte ich sie hier stellen. 

Gesetzt den Fall, es gibt ein neues Heilverfahren im Bereich der Medizin, das Interesse weckt und angefragt wird. Setzt sich der Arzt dann in die eigene 'Praxisküche' und entwickelt das vom Hörensagen bekannte Neue in eigener Kreativität neu oder gibt er sich nicht vielmehr alle Mühe, das genauer kennenzulernen, was da anderswo praktiziert wird? Natürlich gibt es viele Möglichkeiten und indirekte Wege des Lernens und Kennenlernens. Wer aber etwas unbedingt kennenlernen und anwenden will, der wird keinen Weg scheuen, das Neue möglichst genau in Augenschein zu nehmen, und er wird Kontakt aufnehmen mit denen, die das Verfahren entwickelten. Heute bedeutet das Mailanfrage und Hospitation am Ort des Geschehens. Und - so diese nicht möglich ist - so doch mindestens an einem nächsten Ort, der damit bereits Erfahrung gesammelt hat. 

So ist es heute. Aber waren die Leute, zumal die Frauen damals, weniger intelligent, sich um ihr eigenes Interesse zu kümmern? Ist es nicht ein bisschen zu institutionell gedacht, dass 'der Berg zum Propheten' gehen soll, statt der 'Prophet zum Berg'? Ich jedenfalls finde es befremdlich, wenn ich annehmen soll, dass jemand sich in einer Lebensweise üben möchte, die er nur vom Hörensagen und ohne irgendeine Art von Anleitung kennt. Hier möchte ich wirklich fragen, ob da am Ende nicht was Anderes herausgekommen wäre, als man beabsichtigte, zu unternehmen. Und wie stünde das im Widerspruch zum Engagement, das von der ersten Generation überliefert ist? Ich halte es also für sehr geboten, sich auf dem Forschungswege in die Wege und Möglichkeiten zu vertiefen, die unternommen wurden, dieses Ziel zu erreichen. Dabei ist nicht nur an den direkten Weg gedacht im Sinne eines persönlichen Erscheinens, sondern an all die vielfältigen anderen "Mediendienste" wie Briefe und Botensendungen unterschiedlichster Couleur (Stifter, Bischöfe, Pilger, Gäste), die sich mit konkreten Anfragen und Bitten auf den Weg machten.